Fast Jeder, der einen Fernseher besitzt, dürfte mindestens eine Dokumentation über Zustände in Messie-Wohnungen bzw. Häusern kennen und sicher sind Manche darunter, die sich entweder: Alles nur Show, um Einschaltquoten zu generieren! oder: In meinem Umfeld gibt es sowas garantiert nicht, DAS wüsste ich! denken.
Durch einen einmaligen Nebenjob wurde ich vor Kurzem eines Besseren belehrt:
Ich hatte mich auf eine Anzeige in der wöchentlichen Regionalzeitung gemeldet, mit der Helfer für eine Entrümpelung gesucht wurden, die Stunde sollte es € 10,- auf die Hand geben. – Entrümpelung, kann ja nicht so schwer sein … und um meine eigenen Zukunftspläne voran zu bringen, war ich mir auch hierfür nicht zu schade.
Per Sms mit dem Inserent erfuhr ich, dass die Aufgabe nichts für schwache Nerven sei, das Haus stehe seit gut sechs Jahren im aktuellen Zustand leer.
Ok, was soll schon großartig dabei sein, ein Haus zu räumen, das über mehrere Jahre – warum auch immer – nicht mehr bewohnt wurde?! Kann ja so schlimm nicht sein… Da hat man selbst doch schon viel Heftigeres, Belastenderes bewältigt! …
Nachdem, was man im TV ab und an von lange leer stehenden Häusern zu sehen bekommt, besorgte ich mir allerdings sicherheitshalber Schutzkleidung, diese Ganzkörper-Overalls im Malerbedarf, Gummihandschuhe und einfache Atemmasken. – So genau konnte man es ja doch nicht wissen.
Am Tag der Entrümpelung vor Ort angekommen, stellte sich heraus, dass es sich um ein so genanntes Messie-Haus handelte und man selber erst einen Blick hinein werfen sollte, ob man sich dies wirklich antun wollen würde.
Nach einem ersten „Schnelldurchlauf“ waren sich zumindest die meisten Helfer einig: So etwas hatte man bislang wenn überhaupt nur im Fernseher gesehen!
Dass es sich bei den Reportagen über Messies nicht um irgendwelche gestellten, aufgebauschten TV-Formate oder zum Füllen von Sendezeit handelte, wird einem schlagartig bewusst, wenn man sich selbst mit solchen Zuständen konfrontiert.
Der Mini-Flur im EG, die Treppe zum OG, das bißchen Flur im OG sowie die Treppe zum Speicher waren noch annähernd gut begehbar. Da der Keller ganz zum Schluss dran kommen sollte, sah ich mir diesen weder Anfangs noch zwischendurch an, sondern versuchte mich nur auf das Nächstkommende zu konzentrieren. Das Grauen, das recht deutlich die Geschichte eines menschlichen Schicksals widerspiegelte, offenbarte sich in den einzelnen Räumen, deren ursprüngliche Bestimmung sich teilweise nur noch erahnen ließ.
Etwas Weiteres ist man sich auf der Couch vor der Glotze auch nicht im Geringsten bewusst: der Geruchsbildung von jahrelangem Verfall und Zersetzung organischen Lebens, sei es eben durch Haustiere, wilde Mäuse und Ratten oder einfach nur etwaige Feuchtigkeit, die selbst Zeitungs- und Bücherpapier zu kurzzeitigem „Leben“ erweckt, um endgültig zu „Sterben“…
Mit als Erstes fiel mir auf, wie sollte es auch anders sein?!, dass sich viele, hauptsächlich nicht mehr verwendbare Katzensachen im Haus befanden: Näpfe, Streupackungen, Toiletten mit Streu und Kot darin, Kratzbäume sowie – sofern gleich sichtbar – Spielzeug. Sofort hatte ich Bilder einer Messie-Doku im Kopf, in der u.a. von aufgefundenen Katzenkadavern die Rede war, mir schwante Schlimmes.
Die zum Haus gehörende, menschliche Tragödie war Folgende: Zum Schluss lebte eine Mitte 80-jährige, verwitwete Frau mit ihrem geistig behinderten Sohn darin, der viel Pflege benötigte, welcher die Frau allerdings nicht mehr gerecht werden konnte. Die Frau vertraute Niemandem, außer ihrer Enkelin, die jedoch im Ausland lebte und entsprechend wenig bei ihrer Oma vorbei schauen konnte. – Welche weiteren, familiären Probleme sich noch verbargen, wagte ich nicht nachzufragen. Im Grunde genommen war ich nur hier, um einen Job zu erledigen, auch wenn mich die Infos, die ich bekam, doch ziemlich bewegten und die Zeit der Räumung über immer wieder nachdenklich stimmten.
Als die ältere Dame schließlich wegen eigener gesundheitlichen Probleme ins Krankenhaus musste, flog die Enkelin ein, um sich um ihren Onkel zu kümmern.
Die alte Dame hatte sich in Bezug auf ihren Sohn immer gegen seine Einweisung in ein Pflegeheim sowie Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst gestellt; diese „Schande“ und „Blöße“ zum Einen ein behindertes Kind zu haben und zum Anderen, dessen Pflege nicht gerecht zu werden, wollte sie nicht „breittreten“ (lassen).
Nach einigen Wochen Pflege ihres Onkels war die Enkelin schlichtweg überfordert und sorgte für die Unterbringung in einer professionellen Behinderteneinrichtung.
Dies war für die alte Dame augenscheinlich der Anfang vom Ende, denn statt den „minimierten“ Haushalt in Schuss zu halten, verbrachte sie – nach Entlassung aus dem Krankenhaus – jeden Tag von früh bis spät bei ihrem Sohn im Pflegeheim. Im eigenen Haus wurde sich um wirklich gar Nichts mehr gekümmert. Man hatte schließlich keine Zeit mehr und war ohnehin kaum noch Zuhause. Für wen, außer für sich selbst und die damals vorhandenen Tiere, denen es doch genügte (ab und an?) Futter hingestellt sowie die Toilette gemacht zu bekommen, sollte man sich noch abmühen?!
Innerhalb kürzester Zeit wuchs der alten Dame Alles komplett über den Kopf, sodass es nicht sehr lange dauerte, bis auch sie in eine Pflegeeinrichtung für Senioren zog. Geistig noch total auf der Höhe, aber körperlich einfach am Ende.
Zurück zu meinem Kopfkino bzgl. etwaiger Katzenkadaver – menschliche Phantasie ist Fluch und Segen zugleich:
Auf Nachfrage beim Auftraggeber, der bereits Tage zuvor das Haus inspiziert hatte, war mit „halbfertigen“ Tierkadavern nicht mehr zu rechnen, selbst Maden waren mittlerweile ausgetrocknet – in diesem Haus lebte rein gar nichts mehr. Lediglich das ein oder andere Nagerskelett könnte zum Vorschein kommen, die Hauskatzen wurden ihrerzeit zeitnah herausgeholt und untergebracht.
Das Bild des Katzennapfs aus dem Messie-Haus, lasse ich als eine Art Sinnbild einfach mal so im virtuellen Raum stehen.
Mit mir gänzlich fremden Leuten ging es schließlich an die Entrümpelung und selbst wenn man es sich im ersten Moment nur sehr schwer vorstellen kann: stellenweise kann eine solche Arbeit im Teamwork mit Fremden irgendwie sogar Spaß machen. – Vielleicht war es auch nur eine Art lebensnotwendiger, automatischer Selbstschutz von uns „Situations-Clowns“.
Als mir bspw. eine Ausgabe des Singener Wochenblatts von 1972 (!!) in die Finger kam, interessierte es uns Anwesende „natürlich brennend“, was damals berichtet wurde – kaum Eine(r) von uns war zu dieser Zeit bereits geboren…
Leider gab es auch „Einsatzkräfte“, die scheinbar nur „helfen“ wollten, indem sie primär die einzelnen Räume nach noch Verwertbarem durchsuchten, ohne wirklich nützlich zu sein. Diese verschwanden bereits nach drei Stunden mit ihren „Schätzen“ und dem Stundenlohn. – Von 23 Zusagen erschienen Morgens lediglich 12 Leute, sechs Stunden später waren wir nur noch zu Sechst; die Auftraggeber und einen spontanen, mit den Auftraggebern befreundeten Räumer nicht mitgerechnet.
Mein Teampartner und ich fingen in der ehemaligen Küche im EG an, in der sich nicht nur in einer Ecke eine („ehemalige“) Badewanne befand, sondern an die sich auch eine kleine WC-Kabine anschloss.
Den stellenweise bis zu einem Meter aufgestauten Müll in der Küche im Akkord in Säcke zu verpacken, bereits „gepackte“ Kartons, einen mittelhohen, stark abgenutzten Katzenkratzbaum, mehrere Stühle sowie einen Tisch nach Draußen zu tragen, waren im Vergleich zur Entmüllung der WC-Kabine ein wahrer Sonntagsspaziergang: es brauchte nicht nur eine Schneeschnippe mit Metallschaufel, die eingetrockneten Berge von hinterlassenen, verkoteten Einlagen vom Boden und den Wänden zu lockern, sondern auch vier große Müllsäcke… – Diese Aktion brachte mich kurzzeitig an meine persönliche Ekelgrenze, sodass ich gar nicht anders konnte und schwer hustend und würgend, in der Gefahr mich übergeben zu müssen, raus in die Luft flüchtete.
Glücklicherweise bin ich kein Frühstücks-Mensch, sodass sich in meinem Magen noch Nichts befand, das hätte raus „müssen“ oder „können“.
Nach etwa zwei Stunden Räumen wurden wir das erste Mal verköstigt, Getränke gab es zusätzlich gestellt und was selbst ich nicht für möglich gehalten hätte: Man kriegt tatsächlich einige Bissen runter, wenn man trotz allem Drum und Dran, seinen Kopf, die Gedanken und Emotionen auszuschalten weiß! Das Körperliche, teils auch das Mentale ist bei einer solchen Maßnahme derart extrem, dass man über jede Form von Energieschub froh und dankbar ist.
Die etwaigen Tierskelette wurden im Lauf der Räumung in den oberen Stockwerken gefunden. Während den Pausen hat man Zeit – teilweise auch Lust – sich mit den Anderen auszutauschen und je nachdem, was sich den anderen Helfern offenbarte, konnte man mit seiner Einsatzstelle teilweise wirklich zufrieden sein. Wobei ich anmerken möchte: Ich hätte lieber einen Müllsack voll Tierskelette entsorgt, statt Vier mit stark verschmutzten Hygieneeinlagen…
Tja, das Leben ist halt weder Ponyhof, noch Wünsch-dir-was!
Bei all den Eindrücken, die man in solchen Stunden sammelt – Job hin oder her! -, darf man doch niemals ganz die Geschichte dahinter sowie deren Entstehung außer Acht lassen, wenn man bedenkt, dass ca. 1,8 Millionen Menschen in Deutschland Messies sind.
Als zwanghafter Sammler wird man nicht geboren. Es bedarf zahlreiche, meist negative Umstände und Faktoren, zu einem zu werden.
Sei es, wie in diesem Fall durch Überforderung im Alter oder durch traumatische Verluste in jüngeren Jahren, dass man später Alles einfach nur sammelt, um sich gut zu fühlen, um Etwas ganz für sich allein zu haben: die Ursachen ein Messie zu werden und „hinter den Kulissen“ unter Umständen zu verwahrlosen, sind so zahlreich und unterschiedlich, wie jeder Mensch ein Individuum ist.
Weitere Informationen zum Thema findet ihr im Netz, die aussagekräftigsten Links habe ich hier zusammen gestellt:
Wikipedia: Messie-Syndrom & Diogenes-Syndrom
Ärzteblatt: Messie-Syndrom: Löcher in der Seele stopfen
Anlaufstellen für Menschen, die den Ernst ihrer Lage erkannt haben und wirklich den Ausstieg schaffen wollen oder für ohnmächtig-hilfelose Angehörige, findet man ebenfalls jede Menge über Google.
Sicher betrachte ich Messie-Dokumentationen ab sofort mit anderen Augen und einem gänzlich neuen Verständnis, doch warum diese Formate in der Medienwelt als Unterhaltung deklariert werden, bleibt mir auch in Zukunft ein Rätsel.
Mein persönliches Fazit: Diese Erfahrung hat mich nicht nur ein Stück näher ans Ziel meines Zukunftsplans gebracht, sondern mich „trotz meines Alters“ ein Stück weiter wachsen und noch aufmerksamer werden lassen.
Allerdings nicht nur der Gesellschaft, sondern auch mir gegenüber! Hat nicht jeder irgendwo in den heimischen vier Wänden ein, zwei, drei so genannte Schluderecken, in denen sich über einen undefinierbaren Zeitraum Vieles sammelt, dass genau genommen auch gleich weg geworfen oder ordentlich aufgeräumt werden könnte?
Ist vordergründige Faulheit, Sachen nicht sofort zu entsorgen bzw. an „ihre“ Plätze zu verräumen, Zuhause und im Auto für konstante Ordnung zu sorgen, ein erster, ernst zu nehmender Hinweis, unter weiteren Umständen zu einem „echten“ Messie werden zu können?
Oder ist doch noch Alles im grünen Bereich, sofern echter Müll von tatsächlichen „Irgendwann“-Gebrauchsgegenständen unterschieden werden kann und man auch seinen fahrbaren Untersatz in zwar eher unregelmäßigen Abständen einer Reinigung sowie Aufräumaktion unterzieht?
Etwas „dem Fernsehen Entsprungenem“ live zu erleben, macht einen – zumindest mich – schon nachdenklich.
*in diesem Sinn*
eure Sandra