Die zweite Chemostrecke läuft und mir bleibt dieses Mal richtig viel Zeit, die letzten Wochen, Monate Revue passieren zu lassen sowie ein weiteres Resümee zu ziehen.
Die Kombination meines eigenen, jungen Alters (42) mit dem frühen Tod meiner jüngsten Tante mütterlicherseits (sie erlag Anfang 2016 mit nur 52 Jahren ihrem Eierstock-Lungenkrebsleiden) ließ mich zur familiär-genetischen Risikogruppe zählen, wodurch ich die Chance auf eine humangenetische Untersuchung auf etwaig vererbte, veranlagte Gendefekte über die Uniklinik Tübingen erhielt.
Bei mir lag die Wahrscheinlichkeit einer Anlageträgerschaft für die führenden Brustkrebsgene BRCA1 und BRCA2 bei errechneten >20%.
Die Kosten für diese Tests werden bei Notwendigkeit zwar von der Krankenkasse getragen, doch leider liegen sie derzeit noch im oberen, vierstelligen €uro-Bereich, weshalb nur Patienten mit entsprechender Familiengeschichte hierfür ausgewählt werden. Man sollte sich also schon ein Stück weit geehrt fühlen und im Namen der Forschung engagiert sein, wenn einem dieses Privileg zu Teil wird.
Werden die Forscher bezüglich Genmutationen eindeutig fündig, können sich direkte Verwandte (Mütter, Schwestern, Töchter) ohne, um ein bis zwei Ecken Entfernte (Nichten, Cousinen) mit ebenfalls hohem Risikofaktor entsprechend testen lassen. Auch diese Kosten werden von den Kassen getragen und kosten nur noch wenige hundert €uro.
Nicht nur im wissenschaftlichen, auch im allgemein menschlichen Interesse sollte es jedem Krebspatient ein Anliegen sein, zum Entschlüsseln weiterer Geheimnisse unserer Bausätze beizutragen. Meiner eigenen Neugier und meinem Pragmatismus spielte diese Option selbstredend direkt in die Karten.
Vor der humangenetischen Untersuchung braucht Niemand Angst zu haben. Von seinem behandelndem Arzt erhält man im Vorfeld einen mehrseitigen Fragebogen und je nach Zeitlage wird ein Termin mit dem zuständigen Humangenetiker vereinbart. Das Brustkrebszentrum in Singen bekommt etwa alle sechs Wochen Besuch von zwei Ärzten aus Tübingen, die das Gespräch führen und (zwei oder drei, das weiß ich jetzt nicht mehr genau) Röhrchen mit Blut abnehmen. Fertig.
Aufgrund der sehr komplexen Materie kann es bis zu drei Monate dauern, dass das Ergebnis eintrudelt. Diese Zeit vergeht unter Umständen allerdings im sprichwörtlichen Flug, denn man hat ja aufgrund seiner Erkrankung mehr als genug um die Ohren, als dass man auch noch groß über diesen „Nebenschauplatz“ grübeln könnte. – Normalerweise, mit kühlem Kopf betrachtet.
Für mich war das baldige Ergebnis insofern vor Ablauf der Zeit relevant, als wir beschlossen, die OP mangels Kooperationsbereitschaft von Kollege Tumor der zweiten Chemostrecke vorzuziehen. Bei einem eindeutig nachgewiesenen Gendefekt und dem damit verbundenen Risiko ebenfalls am allgemein aggressiven Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) zu erkranken, hätte ich mich in einem Rutsch für eine Total-OP entschieden.
Die wissenschaftliche und forschungstechnisch relevante Seite dieser Untersuchung besteht genau genommen aus zwei Teilen. Der erste wird in der Regel ohne Murren von der Krankenkasse getragen, für den Zweiten muss die Kostenübernahme extra beantragt werden, sollte der Erste keinen stichhaltigen Befund liefern.
Ab hier wird’s für einen Normalo ziemlich verwirrend, weshalb ich versuche mich möglichst kurz und klar zu halten. Wer mehr und tiefergehende Informationen zum Thema möchte, dem ist Google sicher ein Begriff oder studiert einfach selbst Humangenetik.
Die primär zu beachtenden und damit zuerst auf etwaige Mutationen untersucht werdenden Brustkrebsgene heißen BRCA1 und BRCA2.
Werden an diesen Genen bereits im ersten Lauf Veränderungen festgestellt, ist weitestgehend alles klar und die Betroffenen können neben besonderen Früherkennungsuntersuchungen auch prophylaktische Operationen in Anspruch nehmen, um somit entweder den Ausbruch der Krebserkrankung frühzeitig zu erkennen oder sich diesem erst gar nicht stellen zu müssen, weil kein Angriffsfeld (Stichwort: Total-OP) mehr vorhanden ist.
Das wohl prominenteste Fallbeispiel zum Thema dürfte Angelina Jolie sein, die sich aufgrund erheblich erblicher Vorbelastung 2013 erst die Brustdrüsen und 2015 schließlich auch noch die Eierstöcke sowie Teile der Eileiter entfernen ließ.
Leider muss man der Vollständigkeit halber anmerken, dass bei allem was auch nur im Ansatz mit List und Tücke – und das ist bei Krebs eben so – zu tun hat: Sollte keine Genmutation im ersten oder zweiten Lauf gefunden werden, heißt es noch lange nicht, dass man auch wirklich auf der sicheren Seite ist und zumindest aus dieser Richtung niemals Etwas zu befürchten hat.
Die andere Richtung, aus der ein Knüppel nach einer Total-OP kommen könnte, ist das mögliche Stell-dich-ein von neuen Problemen wegen der ausfallenden Hormonbildung, die unter anderem für starke Knochen zuständig war.
Die Forschung steckt trotz aller Bemühungen zu diesem extrem weitläufigen Thema in den Kinderschuhen, weshalb noch lange nicht alle möglichen Veränderungen in Form, Umfang etc. bekannt sind.
Auch aus diesem Grund finde ich es immens wichtig: statt sich selbst unnötig verrückt zu machen, sich damit selbst sinnloser Weise seiner wertvollen Substanz zu berauben, seinen ganz eigenen Teil dazu zu leisten und auch der Aufbewahrung von Testmaterial sowie Dokumentationen so lange wie irgendmöglich zuzustimmen. Die derzeitig gesetzlich vorgeschriebene Aufbewahrungsfrist beträgt gerade mal zehn Jahre – was sind schon zehn Jahre? …
Meine Krankenkasse lehnte die Weiterführung der Testung erst mal ab, da sie keine Relevanz darin sah und wohl natürlich auch um Kosten zu sparen. (Bei denen, die schon länger hier leben, kann man das ja zumindest versuchen…)
Ich wandte mich an den Zuständigen der Uniklinik Tübingen und siehe da: es konnte weiter gehen!
Im zweiten Forschungslauf geht es mit den Genen ATM, CDH1, PTEN, RAD51D, STKM, TP53 (nein, das sind weder StarWars noch StarTrek-Figuren) auf Tuchfühlung. Niente!
Auch wenn es trotz allem keine 100%ige Garantie gibt, dass ich weder ein Anlageträger zu sein scheine, noch dass meine eigene Krebserkrankung auf familiäre, erbliche Belastung zurück geführt werden kann, steht für mich persönlich weiterhin und nahezu mehr als je zuvor fest: der „Golfball“ in meiner Brust explodierte mit der hochgradig stressbedingten Apokalypse um ein geliebtes Autole nur wenige Wochen vor dem Fund!
In meinem bisherigen Leben gab es weiß der Geier mehr als genug Ereignisse, die mich sowas von aus den Latschen hätten wischen können, doch das Ding mit meinem Auto (hart erarbeitet, durch eine extrem schwere Zeit getragen und dann einer ignoranten, selbstherrlichen, egozentrisch-traditionsgeilen Gesellschaft zum Opfer gefallen..) war selbst für meine Konstitution der Super-Gau.
Nichts desto trotz, eine Erfahrung mehr im Leben ist eine Erkenntnis mehr für die Zukunft, wenn es um das Leben nach dem Krebs geht. – Krebs verändert Vieles, nicht zwingend Alles!
*in diesem Sinn*
Eure Sandra