Donnerstag, September 12
Shadow

Offener Umgang mit Krebs

Diesen Eintrag beginne ich ganz bewusst mit einem besonderen Vorwort an all Jene, die sich durch veröffentlichte Erfahrungsberichte von Krebspatienten (egal, ob Normalo oder Promi) in ihrer schein-heilen Welt „gestört“ oder „belästigt“ fühlen oder meinen, darüber lamentieren zu müssen, ob dieses sich-zur-Schau-stellen / sich-wichtig-machen-müssen wirklich sein muss? …

Liebe Leute, wie wir Krebspatienten uns aus freien Stücken dazu entscheiden können, mit unserer individuellen Geschichte offen umzugehen, um auch anderen (zukünftigen) Betroffenen Mut zuzusprechen oder eben nicht, so steht es ebenso jedem Genanten und künstlich Empörten unter Euch frei, sich auf privaten Internetseiten zum Thema aufzuhalten oder eben nicht. – Ganz einfach!

Darüber braucht in keinster Weise hohl diskutiert und (Lebens)Zeit verschwendet werden.

Wie richtig und wichtig meine Entscheidung war, mit meiner Brustkrebserkrankung von Anfang an offen umzugehen, bewies sich im Lauf der Zeit immer wieder.

Im Besonderen, als ich zur vorgezogenen OP Anfang Juli erneut ins Krankenhaus einfahren und eine weitere Mitstreiterin, Gresy, kennen lernen durfte.

Gresy (Anfang, maximal Mitte 60) und ich landeten taggleich im Krankenzimmer, unsere beider OP’s waren für den Folgetag angesetzt – ihr stand das „Basisprogramm“ bevor, ich gehörte zum „Fortgeschrittenen-Kurs“.

Der Aufnahmetag war wieder sehr abwechslungsreich, wobei Gresy mehr auf Tour sein musste als ich, sodass wir anfangs nicht viel Zeit hatten, uns kennen zu lernen.

Sie wirkte auf mich sehr verunsichert, am buchstäblichen Rand der Verzweiflung und hatte auch etwas von einem aufgescheuchten Reh auf der Suche nach einem Versteck.

Ihre innere Unruhe und Anspannung war – zumindest für mich – deutlich nach Außen zu sehen.

Dass ich mit meiner Beobachtung ziemlich richtig lag, zeigte sich, als der Gefäßchirurg ins Zimmer kam, um mit ihr die morgige Chemoport-Setzung zu besprechen. Ich hatte mich zwischenzeitlich wohnlich eingerichtet, legere Klamotten an und fleezte auf meinem Bett.

Gresy brach im Gespräch mit dem Doc zusammen und in Tränen aus. Die Situation im Gesamten nahm sie richtig mit, dass ich gar nicht anders konnte, als auf diese mir noch weitestgehend fremde Frau zuzugehen, mich mit einer halben Pobacke zu ihr auf den Stuhl zu setzen, sie soweit wie möglich in den Arm zu nehmen und versuchen, beruhigend auf sie einzuwirken; in der Hoffnung, die dann fortgeführten Erklärungen des Docs kamen auch wirklich bei ihr an. Das Eis war gebrochen.

Nachdem der Doc gegangen war, keine (Vor)Untersuchungen mehr anstanden und während wir auf das Essen warteten, fingen wir zu reden an. Auch Gresy hatte ihren Knoten (unterhalb in der rechten Brust) selbst gefunden. Ihr offizieller Befund war gerade mal zwei Wochen alt und Alles, was seitdem auf sie einstürzte, was ihr seitdem im Kopf herum schwirrte, war wie ein Brecher nach dem Anderem gegen eine Felswand drückend.

Gresy war sehr häufig wie ein Spiegelbild für mich: Ja, stark war sie! Ja, nie wirklich ernsthaft krank war sie! Ja, arbeiten tut sie sehr gerne und will sie natürlich auch sehr bald wieder! Nein, besondere Hilfe braucht sie nicht, sie wolle niemandem mehr als nötig zur Last fallen! Nein, schwach sein müssen, will sie nicht zulassen!

Auch als die Dame von psychoonkologischen Dienst vorstellig wurde, hörte ich zwar Gresys Stimme zu ihr sprechen, doch im Grunde genommen waren es weitestgehend meine Worte etwa vier Monate zuvor…

Zwischen uns gab es so gesehen nur einen Unterschied: Gresy war das personifizierte Vorwort beinahe jeden Buches und jeder Broschüre zum Thema (schockiert, verzweifelt, ängstlich, unsicher, traurig, sich hilflos fühlend). Kurz: der Inbegriff des Häufchen Elends.

Wie sie mir später erklärte, hatte sie für ihren Zustand nur diese eine Erklärung: KREBS war für sie ein so gewaltiges Wort, mit direkter Verbindung zu Angst daran zu erkranken und qualvoll zu sterben. Als langjährige Altenpflegerin hatte sie schon Vieles miterleben müssen.

Da wir nicht wussten, wie viel Zeit uns gemeinsam im Krankenhaus bliebe, unterhielten wir uns am ersten Tag sehr viel und lange. Jede Frage, die Gresy an mich über meine letzten Wochen einfiel, beantwortete ich ihr ohne Beschönigungen und überzogener Schwarzmalerei. – Es war, wie es war. Es ist, wie es ist.

Am gleichen Abend kam noch Gresys Tochter mit ihrem Freund vorbei (junge Leute, Anfang und Mitte Zwanzig) und ebenfalls – zumindest für mich – sichtbar von akuter Überforderung gezeichnet. Auch ihnen stand ich bei Bedarf Rede und Antwort.

Nach unseren OP’s, wieder zurück im Zimmer, bekam ich wie im Nebel mit, dass Gresy wohl schon Besuch hatte und nahm schwach irgendwas Buntes auf meinem Tisch neben dem Bett zur Kenntnis, bevor ich wieder einschlief.

Als ich schließlich mehr und mehr zu mir kam, erkannte ich im irgendwas Buntes einen Rosenstrauß, den mir die Schwägerin von Gresy netterweise mitgebracht hatte. Gresy hatte ihr erzählt, dass meine Familie in München sei und sie über etwaige Freunde von mir, die mich vielleicht besuchen kommen könnten, noch nichts wisse.

Je mehr ich zu mir kam und am Geschehen wieder teilnehmen konnte, machte sich auch Hunger – ok, etwas Appetit – bemerkbar.

Der Krankenschwester sei Dank, bekam ich etwa eineinhalb Stunden vor dem eigentlichen Abendessen noch mein Mittagessen aufgewärmt, was mich jedoch nicht davon abhielt, auch beim Abendessen ordentlich hinzulangen und mit einer lustigen Wurstsemmelgesicht-Einlage bei Gresy ein Lächeln zu zaubern.

Ja, trotz allem Mist um uns, hatten wir auch unseren Spaß. Und genau das war mir für Gresy am Wichtigsten: Humor ist, wenn man trotzdem (auch über sich) lacht!

Die nachfolgende Zeit würde noch hart, schmerzhaft und unlustig genug werden…

So kam es dann, dass unsere Verabschiedung sehr herzlich wurde, wobei das oben gezeigte Bild von uns entstand.

Ich „ermahnte“ Gresy nochmal, nicht aufzugeben, einerseits selbst stark zu bleiben, andererseits auch wirklich Hilfe zuzulassen und anzunehmen und erhielt das vermutlich schönste Kompliment, das man sich gegenseitig in einer Situation wie der unseren machen kann:

… Sandra, ich verspreche Dir … ich habe Dich jetzt kennen gelernt, Du hast mir soviel Mut gemacht … Du bist trotzdem lustig geblieben … Du bist ein Kämpfer, ich bin auch ein Kämpfer! …

Wie auch mit „meinen Mädels“ vom Krankenhausaufenthalt im März, sind Gresy und ich ebenfalls in Kontakt geblieben und erst kürzlich, als ich ihr wieder eine verbale Motivationsspritze gab, schrieb sie mir: Hast du im Krankenhaus gesehen, ich war auf dem Boden, aber jetzt habe ich mich 180° geändert wie ein normaler Mensch. […]

Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren! – Einfach Aufgeben, gilt nicht!

Ob Du jung bist oder alt. Mann, Frau, Es. Groß, Klein, dick, dünn. Ob Du stinkreich bist oder gerade so über die Runden kommst. Ob Du ein biologisch-ökologisch „durchdachter“ Veggie bist oder noch lebst. Ob Du eine bislang gute körperliche Verfassung hattest oder mehr der Kümmerling warst – KREBS, egal welche Art, kann Jeden treffen!

Dass Gresy mir erlaubte, ihren Namen und unser Bild hier zu veröffentlichen, soll ein weiteres – gemeinsames – Zeichen setzen, sich jedwedem Umgang gegenüber Krebs mit all seinen Facetten zu öffnen.

Niemand ist der/die Erste. Niemand ist der/die Einzige. Niemand wird der/die Letzte sein. Niemand sollte es ganz allein mit sich ausmachen müssen.

*in diesem Sinn*
Eure Sandra

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