Freitag, Dezember 8
Shadow

Sind alle guten Dinge wirklich Drei? [Teil 2]

Sicht- und tastbare, vom Krebs belagerte Lymphknoten im Hals.

Der März hatte es in sich: nach alter Planung sollten alle Untersuchungen meines zurückgekehrten, abermals gewanderten Putins im Gespräch mit dem Chemo-Doc am 24.3. zusammengefasst und ein neuer Fahrplan geschmiedet werden.

Da aber dieses Mal selbst mir sogar der Galgenhumor vergangen war und meine Psyche hohl drehte, setzte ich gemeinsam mit ‚Vitamin B‘ alle Hebel in Bewegung, die Zeitachse zu verkürzen. – Etwa zwei Wochen früher stand fest: Es geht in die 3. Runde!

Mein (erneutes/zusätzliches) Glück im Unglück war ein (weiterer) Fortschritt der Krebsforschung in Form des Medikamentes Troveldy, das erst im Dezember ’21 in der EU, im Sommer ’20 in den USA zugelassen worden war. Damit konnte die ach so böse Pharmaindustrie mit einem weiteren Mittel gegen sich ständig verändernde, gegen Vorgängermedikamente resistent gewordene / werdende Krebszellen aufwarten.

Damit man in den Genuss dieses Mittels kommt, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • ursprünglich triplenegativer Brustkrebs – Check
  • mindestens 2 Therapien durchlaufen – Check
  • metastasierter Ursprungskrebs – Check

Dass der eigentliche Wirkstoff hochgiftig ist, verriet mir mein Chemo-Doc bereits im Gespräch, weshalb er nur auf Antikörper sitzend verabreicht werden darf. Zugleich muss Troveldy auch lichtgeschützt gehändelt werden.

Die äußerlich tastbaren, vom Krebs besetzten Lymphknoten bekommen im CT ein „Gesicht“.

Dass und was mein neuer Verbündeter für ein hot stuff ist, bemerkte ich bereits wenige Tage, noch vor der Folgeinfusion: der große Knoten im Hals hatte sich spürbar verkleinert! Dieser Effekt wiederholte sich und bereits nach der dritten Suppe, war keiner der anfangs tastbaren Knoten mehr zu finden!

So hätte es weiter gehen können, wenn sich ein bekannter Nebenschauplatz nicht neu in Szene gesetzt hätte…

In der Woche nach der zweiten Suppe fühlte ich mich schnupfig und abgeschlagen, in der Regel schiebe ich alles auf die Chemotherapie und spare mir weitere Gedanken. Interessehalber machte ich trotzdem einen Schnelltest – selbstverständlich negativ, von dem her konnte es eigentlich nur mit der Chemotherapie zusammenhängen… Grippostad (Paracetamol & Vitamin C) konnte nicht schaden; tatsächlich besserte sich meine Verfassung ein wenig.

Am dazu gehörigen Wochenende brach ich Sonntags allerdings nochmal derart ein, dass ich Freundinnen bitten musste, meinen Hund auszuführen. Ich dürfte einem einzigen Zombiewalk geähnelt haben, fehlte nur noch die entsprechende Maskerade.

Montags hatte ich mich (vermeintlich) wieder gefangen, was mich weiter an eine Episode im Krebs-Drumrum glauben ließ und machte Pläne, was ich am Dienstag alles erledigen wollte bzw. sollte.

Dienstag Morgen. Mein Schnüffeltier und ich erwachten wie immer kuschelnd und rumalbernd. Als ich mich schließlich erheben wollte, fiel mein Kreislauf in den Keller! What the fuck ist denn jetzt schon wieder …. ?

Alles in Allem brauchte es über eine halbe Stunde, dass ich mich nicht nur aus dem Bett erheben, sondern auch (sehr mühselig) angezogen bekam. Zeitweise musste ich mich an der Wand anlehnen / abstützen und sogar auf den Boden setzen, um keinen allzu langen Weg zu haben, sollte mich – was auch immer das schon wieder war – doch noch zu Fall bringen. Zu den bis dato unerklärlichen Kreislaufzusammenbrüchen gesellten sich enorme Schmerzen am Po.

Das sind die Momente, in denen man sich verflucht, Verantwortung für ein Haustier zu haben… Aber es half ja nix: das Fell musste raus! Jeder, den ich hätte bitten können und zu dem Fiú Vertrauen hatte, war entweder schon in der Arbeit oder mit den Kindern beschäftigt. Diesmal gab es keinen Plan B. Zugegeben, ich spielte schon mit dem Gedanken, den Rettungsdienst zu rufen, aber erst musste der Hund raus!

In mein buchstäbliches standhaft bleiben hatte ich soviel Zeit investiert, dass mein Prokto-Doc zwischenzeitlich Sprechstunde hatte. Bevor wir losgingen, rief ich bei ihm an, um einen Notfalltermin zu erbeten. Solche gab es nicht, ich solle einfach so schnell wie möglich in die Praxis kommen. – Nach einer weiteren, guten halben Stunde kam ich schließlich bei ihm an; fragt nicht nach der Autofahrt übers Hinterland nach Konstanz …

Beim Prokto-Doc durfte ich mich erst mal einige Minuten hinlegen, bevor ich in ein Behandlungszimmer geholt wurde. Da ich allerdings derart schmerzhaft war, dass der Doc mich rein gar nicht untersuchen konnte, wies er mich kurzerhand ins Krankenhaus nebenan ein. Eine seiner Helferinnen begleitete mich sicherheitshalber.

  • Von einer Praxis als Notfall direkt in einem Krankenhaus gelandet – Check.

Während ich in der Notaufnahme saß – man gab sich wirklich sehr viel Mühe, mich so kurz und wenig wie irgendmöglich warten / leiden zu lassen -, rief ich als Erstes Bekannte von mir an, damit sie (hoffentlich) meinen Hund zu sich holen würden. Sie waren da und taten es, das Wichtigste war geregelt.

Irgendwann in der Zeit in der Notaufnahme strich ich mir vor Erschöpfung und Erleichterung zugleich durchs Haar … ich fiel unter die 44%ige Wahrscheinlichkeit, unter Troveldy (wieder) die Haare zu verlieren. Wenn’s nur das ist … Während 2017 die Kopfhaut wie ein Nadelkissen stach, bevor sich die Haare schließlich mit Ansage verabschiedeten, erinnerte ich mich dieses Mal nur an dieses Gefühl, als hätte man sich die Haare länger als nötig nicht gewaschen.

Meine Blutwerte zeigten einen extrem hohen Entzündungswert, sodass die Ärzte annahmen, es hätte sich zur Analfissur ein eitriger Abszess entwickelt.

Am Nachmittag wurde ich in den OP gefahren. Es stellte sich heraus, dass die im letzten Jahr aufgetretene Analfissur genau genommen eine von zwei Fisteln war, die auf ihrem Weg an einer Stelle an der Oberfläche erschien und leicht als „nur Fissur“ befunden werden konnte.

Die gute Nachricht in all dem (neuen) Scheiß: weder Fissuren, noch Fisteln konnten für meine hohen CRP-Werte verantwortlich sein. Treten derartige Werte bei Chemopatienten auf, durfte davon ausgegangen werden, dass es sich um Entzündungswerte, ausgelöst durch Tumorzerfall handelte! – Soll mir recht sein …

Da ich ja ohne Gepäck zum Doc gefahren war, hatte ich nichts dabei, womit ich mich in all der Zeit hätte ablenken können. – Ich hatte so unfassbar viel Zeit, mich mal wieder mit mir selbst und meiner Gesamtsituation beschäftigen zu können, was sich wie immer als Fluch und Segen zugleich darstellte.

Während ich am Folgetag auf die Entlassung wartete und nachdem ich von einer Krankenschwester ein paar Blatt Papier und einen Kuli bekommen hatte, sprudelte so ziemlich alles, was die letzten 24 Stunden in mir rumflippte heraus: lustiges, nerviges, vorfreudiges, wehmütiges, traurig und sehr nachdenklich machendes.

Was ich in Kombination mit Krebstherapie immer wieder feststelle: Tränen sind nicht gleich Tränen.

  • Es gibt Tränen der Wut gegen die Krankheit;
  • Tränen der Verzweiflung und Angst, was wohl noch alles auf mich zukommt;
  • Tränen der Dankbarkeit, ein so tolles Umfeld von Menschen und Ärzten um mich zu haben;
  • Tränen der Hoffnung, wirklich nur noch dieses eine (dritte) Mal durch den ganzen Scheiß gehen zu müssen, am Ende wie Phönix aus der Asche aufzusteigen und für den Rest meines Lebens wirklich gesund zu bleiben.

Einerseits kreisten meine Gedanken auch immer wieder um die fehlende Partnerschaft. Auf diesen einen Menschen, der mich angenehm und interessant intellektuell forderte, von dem ich noch etwas (Brauchbares) lernen konnte, der mich jeden Tag aufs Neue auf sich neugierig macht, ohne meine Nerven zu strapazieren, mit Humor und Optimismus auch üble Situationen zu entschärfen versteht, auf den jederzeit blind und wortlos Verlass ist, der einfach mal nur für mich da ist, mich auffängt, keine Ansprüche an mich stellt, keine Erwartungen an mich hat, der mir Kraft gibt, statt sie mir immer nur abzusaugen, mir mal die Wege ebnet, statt nur hinterher zu stolzieren. – Andererseits sind da meine bisherigen Lebensstationen, die mich immer mal wieder den erinnern, was man sich im Leben nur ein Mal geben bzw. gefallen lassen sollte, sofern man Einfluss darauf hat. Das macht „die Sache“ diesen einen Menschen noch zu finden nicht leichter …

>> Fortsetzung

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