Ich tu‘ mir mit dem Begriff artgerechte Haltung oft schwer, denn genau genommen erfährt kein Tier in Menschenhand eine artgerechte Haltung – artgerecht bedeutet für mich: wild, frei, unbeeinflusst, der Natur/dem Naturell entsprechend lebend. Alles andere ist domestiziert, angepasst, zwangsläufig arrangiert.
Lässt man den grauen Zellen den ein und anderen Freilauf, kommt man recht schnell zu der Erkenntnis (sollte man zumindest), dass man es einem Tier eigentlich nur möglichst gerecht, gerecht werdend oder annähernd Spezies xy gerecht machen kann – doch niemals artgerecht.
Umso mehr freut es mich immer wieder, wenn ich es mit anfangs verstörten Tieren zu tun bekomme, zu deren positiven, zur Ruhe kommende Veränderung ich (m)einen Beitrag leisten, erkennen und auch noch direkt verfolgen kann.
Kleiner Dienstag zog Ende August 2018 bei mir ein, nachdem er die ersten, etwa fünf Monate seines Lebens bei einem psychisch kranken Erwachsenen verbrachte, der einerseits nicht alleine sein wollte, andererseits mit seinem Mitbewohner schnell überfordert war. – Hier nachzulesen.
Seit Anfang November ’18 lebt der kleine Kerl nun in einem Gehege, das fast fünfmal größer als das Nagarium ist, mit dem er bei mir einzog und ich kann Euch sagen: es verging kaum eine Woche, in der ‚Prinz Charming aus dem Hause der Kamikamster‘ nicht eine Aktion raushaute, die mich staunen, lachen und lernen ließ.
Nachdem wir altes, für Goldhamster zu kleines Inventar gegen Größeres getauscht und teilweise auch selbst gebaut hatten, stellte ich bald fest, dass bspw. diese Ecktoiletten aus Plastik sowie zur Ecktoilette umfunktionierte, dreieckige Näpfe aus Keramik zwar ein nette Erfindung, für „gebrauchte“ Hamster, die sie nicht von klein auf kennengelernt haben, allerdings völlig daneben sind: zum Ersten scheinen die knalligen Farben (blau, rosa, grün etc.) zu verunsichern – die bisherige Kloecke wird kurzerpfote verlegt, gewonnen ist gleich Null. Als, Zweitens, Vorratslager eignen sie sich nur sehr bedingt: fallen Futterstücke hinter den Rand, wird’s gefährlich: um an die abgelegten Köstlichkeiten zu kommen, wird angefangen, am Plastik zu nagen…
Die Veränderungen, die in Kleiner Dienstag vonstatten gingen, äußerte sich nach außen hin in Veränderung seiner Vorlieben: aus dem allerersten, handelsüblichen Steck-Häuschen in ein größeres, gekauftes Blockhäuschen, von dort in den ersten, selbstgebauten Einzimmer-Hamsterbungalow, gefolgt von einer (ebenfalls selbst gezimmerten) Zweiraum-Villa, wanderte Kleiner Dienstag irgendwann in seine „Jagdhütte“ aus Korkrinde in der ersten Etage aus, bevor er den einfachen Luxus einer gebuddelten, mit Heu und Moos ausstaffierten Bodenhöhle, basierend auf einem Kleintiereinstreu-Katzenstreu aus Pflanzenfasern-Mix, für sich entdeckte.
Die Zeiten, zu denen er während der Gehegereinigung in einen Ersatzkäfig umquartiert wurde, sind vorbei: entweder bleibt er heute vor Ort im Gehege und beäugt alles, zieht sich in höher gelegene Verstecke zurück oder er genießt Freilauf in der Wohnung, wobei er ebenfalls zunehmend kecker wurde: vergesse ich Abends, die Sperre am Gehege zu setzen, konnte es passieren, dass er mitten in der Nacht einfach ausstieg und auf Wanderschaft ging. Von daher hat er mittlerweile seinen Namenszusatz Kamikamster (kurz für: Kamikaze-Hamster).
Bei kontrolliertem Freilauf schließe ich die Bad-Tür und lege eine Durchgangssperre zur Küche.
Das eine Mal hörte ich nachts um 1 Uhr ein Kratzen aus Richtung Bad. Da Hamster auch tagsüber mal auf Tour gehen, schätze ich, ist Kleiner Dienstag irgendwann im Lauf des Tages unbemerkt aus seinem Gehege gestiegen und hat sich erfolgreich ins Bad durchgeschlagen. Viele echte Versteckmöglichkeiten gibt es dort nicht; maximal ein Schrank, dessen Fuß mit leichten, offenen Wölbungen gefertigt ist.
Entweder war die Bad-Tür von selbst etwas zu gegangen oder ich hatte sie am Abend mehr an den Rahmen gezogen. Jedenfalls war der Spalt für die Weite der Hamster-Schnurrbarthaare zu eng geworden, sodass er nicht drumrum kam, sich mit Kratzen und Nagen den Weg frei zu machen und sich dadurch zu „verraten“. Nachdem ich das alles realisierte, tastete ich mich ins Bad, entdeckte ihn unter dem Schrank verschwinden, tastete mich zu seinem Gehege, holte ein Kohlrabiblatt und lockte ihn damit aus seinem Versteck hervor. Tiefschlaftrunken war das gar nicht so einfach – im Gegensatz zu mir, war der kleine Kerl munter und schnell. Kamikamster zurück im Gehege, setzte ich die Sperre und legte mich wieder hin.
Ein anderes Mal, ich hatte das Frischfutter ausgelegt, das Hauptfutter verteilt ins Gehege geworfen, das Wasser frisch gemacht – die Sperre gesetzt!! – denke ich mir im Lauf des Abends … des Spätabends … der Nacht: komisch, viel zu ruhig?! Lebt er überhaupt noch? Etwa eine Stunde später hör‘ ich etwas rascheln – es kam weder aus Richtung Gehege, noch war es eindeutig zu bestimmen. Manchmal hörte es sich an, wie in der Wand hinter mir???
Damit Kleiner Dienstag beim Freilauf – eigentlich – nicht in die Küche und durch eine hintere Öffnung unter die Küchenzeile kommen konnte, hatte ich ein Brett als Absperrung angefertigt. Ich weiß nicht, ob er diese bezwungen hat oder ein weiteres Mal am frühen Abend unbemerkt „ausgeflogen“ ist. Sicher ist nur, dass er es erneut erfolgreich, dieses Mal in die Küche, geschafft hat. Das Rascheln, welches ich nur mit hoher Konzentration und Warten auf nächste Geräusche wahrnehmen konnte, verursachte Hamster Löwenherz unter der Spüle, hinter den Reinigungsmitteln! Als ich mich schließlich zu ihm durchgearbeitet hatte, war er schon wieder dabei, unter die Küchenzeile abzuhauen.
Mittlerweile bin ich stark am Überlegen, ihm eine Art Treppe ans Gehege zu bauen, über die er tatsächlich nach Belieben aussteigen könnte, sollte ich die abendliche Absicherung des Geheges wieder vergessen. – Es würde zumindest die Verletzungsgefahr garantiert eindämmen. Obwohl Kleiner Dienstag von seinen Aus“Flügen“ bislang noch keine Verletzungen davon getragen hat, ich ihn einmal sogar dabei erwischte, wie er sich von der Glaskante seitwärts weg, auf ein gut gepolstertes Hunde-/Katzenschlafkissen landend abstieß, das Risiko besteht. Und Nein, „einglasen“ ist für mich keine Option!
Dass er sich heute, knapp sieben Monate nach Besitzerwechsel derart ausgeglichen, kess und relativ natürlich verhält, mag mitunter daran liegen, dass auch er bei mir für seine Bequemlichkeiten (Futter, ein warmes, weiches Nest etc.) arbeiten muss. Egal, ob Kohlrabiblatt, sein Hauptfutter, seit Kurzem auch das Frischfutter: bis auf Wasser wird nichts mehr einfach nur in einem Schälchen bereit gestellt und möchte er eine besondere Leckerei haben, muss er sich weiterhin auf mich einlassen; so vermeide ich (offensichtlich), dass er mir komplett verwildert.
Da man Haustiere bei jedweder Art von (Futter)Spiel nicht unbeaufsichtigt lassen sollte, konnte ich eine bis dato ungeahnte Gefahrenquelle entdecken: nachdem Kleiner Dienstag ihrerzeit die Nudelkette durchbissen hatte, um an die ungekochten (!) Pasta zu kommen, hängte ich ihm eines Abends ein Stück Brokkoli ebenfalls an eine dünne Sisalschnur, durch ein Loch im Dach, über seinen Laufsteg und hielt es die ganze Zeit fest. Vom Bemerken, über Suchen bis hin zum Entdecken (und das alles per Nase), war ihn zu beobachten sehr interessant. Allerdings, statt seinen Brokkoli erst genauer zu begutachten, wollte er ihn, ungeachtet der Schnur, gleich weg bringen. – Die Schnur los und ihm überlassen war keine Option. Zum Glück lag noch die Schere in Griffnähe, sodass ich Hamster und Schnur schnell voneinander trennen konnte.
Kleiner Dienstag wurde im März 2018 geboren und dürfte etwa die Hälfte seines Lebens erreicht haben. Wie viel Zeit mir mit ihm noch bleibt, kann Niemand sagen: Goldhamster sollen zwischen zwei und vier Jahre alt werden.
Ich bin nun sehr gespannt, wie das Altern bei Hamstern vonstatten geht und ob und was es hierbei, in Bezug auf die Haltung sowie dem Umgang mit ihm, zu beachten gibt?
*in diesem Sinn*
Eure Zeller