Acht Jahre Krebs. Acht Jahre Rodeo. Acht Jahre immer wieder Veränderungen im vermeintlichen Alltag. Acht Jahre Zeit und Möglichkeiten immer wieder Neues an und in sich kennenzulernen. Acht Jahre eigentlich Glück gehabt, immer noch zu leben.
Durch den Lauf meiner zurückliegenden Reise stehe ich mittlerweile an einer Stelle, die ich mir im „alten Leben“ nicht mal in den kühnsten Momenten hätte vorstellen können und immer wieder tun sich neue Themen, neue Erkenntnisse auf, woraus sich mitunter notwendige, überfällige Konsequenzen ergeben.
Wirklich hart, erst mal irreal vorkommend und ein schlechtes Gewissen machend werden diese, sobald einem bewusst wird, dass die Wurzel des Übels weder mit einer Krankheit noch der jüngsten Vergangenheit zu tun hat, sondern allem voran in der Kindheit, dicht gefolgt von der Jugend liegt.
Eines vorab: Dieser Eintrag stellt weder eine Abrechnung mit Personen meiner Vergangenheit dar, noch sollen diese in herabwürdigender Weise an den Pranger gestellt werden.
Dennoch braucht es Menschen wie mich, die sich trauen Einblicke ins eigene Nähkästchen oder in die Werkzeugkiste zu geben, welche Auswirkungen Prägungen durch Erziehung und Erlebnisse in der Kindheit haben können, ohne „verständlicherweise“ selbst kriminell oder gewalttätig zu werden.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auch wieder vielen von euch von der Seele schreibe und ich hoffe, anderen Betroffenen damit ein weiteres Mal Motivation sowie Mut zu vermitteln, sich gegen die eigenen Dämonen gerade zu machen. Denn: Schweigen ist keine Option (mehr)!
Dieser Eintrag soll Mut machen, sich nicht nur mit sich selbst auseinanderzusetzen, sondern auch seine Vergangenheit kritisch zu hinterfragen ohne ein schlechtes Gewissen und / oder das Gefühl von „Undankbarkeit“ zu haben – und sich erst recht nicht wieder einreden lassen! Auf die Vergangenheit haben wir leider keinen Einfluss mehr, für die Gegenwart sowie der nahen und fernen Zukunft sollte es allerdings nie zu spät sein sich zu befreien.
Leute glaubt mir: Mitte der 1970er geboren weiß ich, was man als Kind der 80er sowie Teen der 90er durchgemacht hat und möglichst viele Prägungen aus diesen Zeiten aufzubrechen ist echt kein Spaß! Ihr solltet fest im Sattel sitzen, denn der Ritt auf dem Drachen wird es in sich haben! Und: der Drache ist nicht Fuchur …
Jeder von euch hat seine eigene Geschichte, seinen eigenen familiären background, seinen eigenen Lebensweg, weshalb ich mit diesem Beitrag natürlich nicht auf jedes mögliche Szenario eingehen kann. Darum geht es auch nicht! Ich werde euch kein Silbertablett vor die Nase legen, auf dem ihr euch ausruhen könnt und nach einer bestimmten Zeit ist alles vergessen, wer euch womit als Kind bewusst oder unbewusst einen bleibenden Stich versetzt hat. Stattdessen kann ich mich als „Fallbeispiel“ anbieten, worin sich ebenfalls viele unserer Generation mal mehr, mal weniger wiederfinden dürften.
Ging es in Gesprächen um meinen Lebensweg war mein Standardspruch: Ich bin die Älteste von Drei einer überwiegend alleinerziehenden Mutter mit starker, spezieller Persönlichkeit, für mich galten grundsätzlich andere Regeln.
Wie Recht ich damit behalten sollte, worum ich als Kind und Jugendliche im Grunde genommen beraubt wurde und welch‘ weitere Stärke eine neu gewonnene Erkenntnis mit sich brachte, war mir lange nicht klar; bis ich im Sommer ’24 Kontakt zur psychosozialen Krebsberatung in der Region aufnahm.
Ursprünglich wollte ich „klären lassen“, ob ich in Bezug auf eine gesunde Partnerschaft führen können wirklich rund lief? Viele meiner Empfindungen und Gedanken passten einfach nicht zusammen, was mich nicht nur an mir selbst zweifeln ließ, sondern zusätzlich verunsicherte. War ich doch auf bestmögliche Funktion, Leistung bringen sowie wenig bis am besten keine Ansprüche stellen gedrillt, ähm erzogen.
Über die Lebensjahre hinweg ebenfalls nicht bewusst, gab es zusätzlich einen Trigger, der es immer wieder schaffte mich klein, ungenügend und dumm fühlen zu lassen. Als wäre alles, das ich mir angeeignet hatte schlichtweg nicht existent, von mir erfunden um toll dazustehen und ich in Wirklichkeit ein Nichts de luxe, ein Blender bin. – In der Regel hatte der Trigger die Form von älteren dominanten, herrischen Frauen, die nebenbei geschickt weil kaum merklich manipulieren konnten; die Ausnahme von der Regel waren cholerische, jähzornige ältere Männer die sich in bedrohlicher Weise vor mir aufbauten.
Das Wort Trigger wird in der Psychologie verwendet. In Fachkreisen bedeutet „getriggert sein“, dass sich Menschen nach einem Traumaerlebnis durch einen Auslöser (in Englisch „Trigger“) in den schrecklichen Gefühlszustand von damals zurückversetzt fühlen. Die Folge sind Angst, Panik oder Wut. (Quelle: Deutsche Traumastiftung1)
Eine weitere Achillessehne waren ältere Frauen, die auf hilf- und ratlose Ömchen machten und damit den Schalter meines anerzogenen Helfersyndroms geschickt umzulegen wussten. Diese Manipulatoren, dass und wie faustdick sie es eigentlich hinter den Ohren hatten, erkannte ich glücklicherweise schneller – spätestens wenn man sich als Depp auf Pfiff fühlt, sollte man auch von solchen Menschen sofort Abstand nehmen!
Kommt das bereits dem Ein und Anderen von euch bekannt vor? Dann bleibt mal dran …
Obwohl sich relativ schnell herausstelle, dass meine Selbstzweifel und Unsicherheit bzgl. einer guten, gesunden Partnerschaft nur die Spitze des Eisbergs waren, respektive die Kette zum Betonklotz, der mir im Kindesalter verpasst wurde, hatten es die Sitzungen bei der Krebsberatung mal wieder in sich.
Meiner Therapeutin fiel recht schnell auf, dass meinem Verständnis nach alles in Bezug auf Zuneigung, Liebe, beachtet werden (wollen) auf einem Sockel von Vor-Leistung und Funktion stand. – Gibste nix, kriegste nix.
Wenn einem dies selbst klar wird, man es sich eingesteht und bereit ist weiterzugehen, kann es zu – sagen wir – interessanten Gefühlen kommen. Zumindest bei mir war es so, dass zusätzlich verdrängte?, vergessene?, von Erwachsenen relativierte? Erlebnisse aus Kindheit und Jugend Stück für Stück zurück?, überhaupt endlich mal hoch kamen?. – WTF!
Zwei Beispiele gefällig, die mir seit Jahrzehnten bewusst im Nacken sitzen?
In der (ersten) Grundschule in München, ich war acht oder neun Jahre, durfte ich mich ins Schulfreundebuch einer Mitschülerin eintragen. Anfang der 2000er Jahre organisierte u.a. diese Mitschülerin ein Klassentreffen und stellte die Einträge aus diesem Schulfreundebuch galerieartig aus. Als ich sah, was ich damals bei Besonderes Kennzeichen geschrieben hatte, zog sich meine Kehle zu: manchmal fröhlich. Uff!
Anfang 2009 segnete mein Erzeuger das Zeitliche; von ihm habe ich auch eine knapp 14 Monate jüngere Schwester, zu der allerdings schon lange kein Kontakt mehr besteht. Anfangs wollten wir beide vom Erbe nichts wissen, wir blieben auch der Beerdigung fern, doch kurz vor Ablauf der Frist zum Erbantritt siegte meine Neugier. Ich liebte den Ort meiner ersten sechs Lebensjahre: auf dem Land, abseits allen Stadttrubels, eigentlich sehr idyllisch … wären da nicht meine Eltern, allen voran mein Erzeuger gewesen. Seine Familie kann man sich bekanntlich nicht aussuchen.
Mit 34 (!) machte ich mich nach etlichen Jahren wieder auf den Weg in meine Heimat. Im Haus gegenüber wohnte meine angeheiratete, verwitwete Tante mit meinem Cousin, einer ihrer fünf Töchter aus erster Ehe, die ebenfalls ein Lied von meinem Erzeuger singen konnte. Sie war es auch, die mich informierte, dass er gestorben sei. Mein erster, laut ausgesprochener Gedanke: Na endlich!
Damals rauchte ich noch. Auf dem ehemals großelterlichen Hof mit meinem Elternhaus angekommen, ging ich erst mal zu meiner Tante. Jetzt vor Ort flatterten mir langsam die Nerven und es dauerte sage und schreibe gute zwei Stunden, bis ich mich überhaupt traute, auf die Haustür meines Elternhauses zuzugehen und zumindest aufzusperren. Noch nicht zu öffnen, nur aufzusperren! Trotz Erzählung meiner Tante, wie er gefunden, welche Todesursache befunden, wann, wo und wie er beerdigt wurde, noch nicht davon überzeugt, öffnete ich nach einer gefühlten Ewigkeit die Haustür, immer in Hab Acht!-Stellung ob er nicht doch noch oben an der Treppe auftauchte oder aus dem ebenerdigen Kellerraum plötzlich vor mir stand.
Ich glaube nach drei, vielleicht auch vier Stunden, in denen ich zwischendurch immer wieder mal zur Beruhigung zurück zum Haupthaus bin, war es auch bei mir angekommen, dass er tatsächlich – endlich – weg ist und ich anfangen konnte mit einem großen Dämon abzuschließen.
Seit diesem Prozess ist es mir möglich, in oder durch dunkle Abschnitte zu gehen. Meine Schwester (die sich einklinkte nachdem durch meine Vor-Arbeit klar war, dass und was das Erbe einbringen konnte) bezeichnete ihre Hälfte des Hausverkaufs als verspätetes Schmerzensgeld.
Bevor euer Kopfkino die schlimmsten und wildesten Bilder auffahren: Sein wahres Gesicht zeigte unser Erzeuger nach meiner Geburt und der Hochzeit, zu denen die beiden damals gezwungen waren, um überhaupt gemeinsam auf dem seinerseits elterlichen Hof zusammenleben zu dürfen – uneheliche Kinder und wilde Ehen waren in den 1970er verpönt. Gegen uns Kinder, auch gegen die eigenen späterer Frauen, wurde er nie gewalttätig. Allerdings mussten wir mitansehen, wie er unsere Mütter misshandelte. Bereits mit vier erhielt ich den Absatz eines Cowboystiefels ins Gesicht, als ich mich „schützend“ vor meine Mutter stellte und eine Tasse Milch, die ich kurz vor dem Zubettgehen trinken wollte, landete im Eck einer Küche.
Zurück ins Heute.
Nachdem ich langsam erkannte und akzeptierte, dass weder mein Sternzeichen (Skorpion) noch ich in Person oder mein Lebensweg ab Schule, über Ausbildung etc. die Ursachen des Übels der vergangenen Jahrzehnte waren, kam mir auf einer sozialen Plattform ein Artikel von Starke Gedanken zum Thema Parentifizierte Töchter2 vor die Augen, worin ich mich in jedem Satz wiedererkannte und plötzlich hatte das bislang undefinierbare Gefühl latenter Last einen Namen!
In diesem Artikel las ich das erste Mal bewusst vom inneren Kind und – Algorithmen sei Dank – es dauerte nicht lange, bis mir die Einladung eines (angeblich) darauf spezialisierten Psychologen zu einem kostenlosen Workshop „vorgeschlagen“ wurde. Na ja, jetzt war ich schon auf Safari, nehmen wir mit!
Freunde der Sonne, der Nacht und alle dazwischen, ich sag’s euch! … Nach den Erklärungen und Ausführungen zum Thema stand eine kleine Meditationsübung an, um mit seinem inneren Kind in Kontakt zu treten. Na klar …
Nun, was soll ich sagen, ob ihr’s glaubt oder nicht: dieses innere Kind gibt es wirklich!
Sinnbildlich verkörpert das innere Kind die in der Kindheit gründenden Muster in unserem Fühlen, Denken und Handeln. »Unsere Kindheit bleibt uns erhalten, sie prägt unser Erleben und Verhalten«, sagt Lutz. Im besten Fall entwickeln Kinder Urvertrauen, also eine sichere Bindung, und damit ein gutes Modell für künftige Beziehungen. Im schlimmsten Fall erleben sie Missbrauch, Vernachlässigung, Kränkungen, und diese Erfahrungen können ihr Erleben und Verhalten ein Leben lang beeinflussen. (Quelle: Artikel von Hannah Schultheiß3)
In der Meditationsphase hieß es man solle sich für sein inneres Kind öffnen, je nachdem wie es sich bemerkbar macht auf sich zukommen lassen, auf es zu gehen, mögliche Empfindungen einfach zulassen.
Irgendwann begannen meine Schultern irre zu schmerzen, als hätte auf jeder mindestens ein voll beladener 40-Tonner geparkt, mein Oberkörper drohte zu implodieren, das Atmen fiel mir unfassbar schwer, mein Kopf tat vollumfänglich sowas von weh und Tränen liefen plötzlich wie noch nie bei einem traurigem Anlass zuvor! KRASS.
Angefixt von dieser Erfahrung buchte ich zwar nicht das kostenpflichtige Seminar, stattdessen begab ich mich weiter auf die Reise zurück und begann einen Stein nach dem anderen umzudrehen, eine mich mental schädigende Situation nach der anderen als Kind, Jugendlicher, junger Erwachsener bis heute zu hinterfragen, die mir bereits eine Ewigkeit bewusst auf der Seele lag oder plötzlich, nach und nach aufploppte und sich ebenfalls als beachtenswürdig deklarierte.
Ich resümierte welche Erwachsenen innerhalb der „geheiligten“ Familie, in die ich hinein geboren wurde, mir wann, womit, direkt oder indirekt welches Versprechen zwar gaben, jedoch niemals einlösten. Während ich immer wieder mit „Argumenten“ und „Entschuldigungen“ abgefertigt wurde, weshalb dem Versprechen oder einem Wunsch von mir nicht nachgekommen werden konnte – wofür ich doch ganz bestimmt Verständnis hatte?! – wurde auf die Einhaltung meist mir abgepresster Versprechen großen Wert gelegt. Kennen wir nicht alle den Spruch: Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen?!
Das einzige „Versprechen“, das nicht gebrochen, der einzige Wunsch meinerseits, der nicht ignoriert werden konnte, sondern erfüllt werden musste war mein (Halb)Bruder, womit nun auch geklärt wäre, warum er mir so viel mehr bedeutet und wichtiger ist, als meine Schwester. Als es hieß, Muttern sei schwanger wollte ich von Anfang einen Bruder, eine (nervige) Schwester hatte ich schließlich schon. Diese wiederum wollte noch eine Schwester, ich „setzte“ mich schließlich durch und niemand konnte ihn mir wieder wegnehmen! Er war so sehr „meiner!“, dass ich ihn wann immer möglich trug, was mir schließlich mit neun Jahren einen Nabelbruch und damit eine Woche Krankenhaus einbrachte. Egal!
Die Quintessenz meiner Kindheit bestand daraus Vor-Leistung zu bringen, wenn man etwas möchte, das vielleicht erfüllt wird. Zu funktionieren um es möglichst allen recht zu machen und die für mich verantwortlichen Erwachsenen in einem guten Licht dastehen zu lassen. Keine Ansprüche oder Wünsche außerhalb des Notwendigen zu haben, bei drei Kindern mit überwiegend nur einem Elternteil waren weder die Zeit für jeden einzeln noch das Geld für die individuelle Förderung vorhanden. Und last-but-not-least: glaube und vertraue möglichst niemandem, nicht mal den Menschen, die dir näher als andere stehen! … Diese Spirale geht als Jugendlicher, junger Erwachsener weiter und wirft dir als Erwachsener einen Stein nach dem anderen vor die Füße, wodurch man auf Lebzeiten zum Kämpfer wird, was eigentlich nicht hätte sein müssen.
Bis hierhin zusammengefasst ist das alles schon eine recht heftige Nummer für ein Mädchen, das viel sich selbst überlassen war, seine schulischen Leistungen bringen musste, um weiter zu kommen, im Haushalt helfen und sich um die jüngeren Geschwister kümmern sollte, damit die Mutter etwas Luft hat. – Finde den Fehler!
Es heißt, man sei das Spiegelbild seines Elternhauses, doch ehrlich Leute: Das will ich gar nicht sein und bin es zum Glück auch nicht! Ich bin bekam sogar die Kurve, nicht die lebenslängliche Konsequenz meines Elternhauses zu werden, das sähe ziemlich düster aus.
Vor allem meinem Bruder verdanke ich es, nicht die Konsequenz meines Elternhauses geworden zu sein: bis in die 1990er saßen die Hände sehr locker und man machte sich nicht wirklich Gedanken darüber, man langte einfach zu, wenn Worte scheinbar nicht ausreichten oder man die Zeit der Diskussionen „abkürzen“ wollte … Ich war irgendwas Mitte der Teeniezeit, mein Bruder noch keine zehn und ich sollte darauf achten, dass er seinen Teil vom gemeinsamen Schrank aufräumte, was nicht einfach war durchzusetzen. Irgendwann war ich die Faxen leid und holte aus … mein Bruder duckte sich zwar, doch sah er mich mit teils verzweifeltem, teils traurigem, aber festem Blick an und sagte: Ja, schlag mich doch wieder! Das ist das Einzige, das du kannst! – DAS SASS SOWAS VON! Seit diesem Moment erhob ich nie wieder die Hände gegen jemand Schwächeren, Kleineren.
Ganz offiziell und öffentlich: DANKE, DANKE, DANKE Bruderherz für deine Courage damals! ICH LIEBE DICH!
Mit meiner Schwester flogen hingegen weiterhin die Fetzen und das Verhältnis mit meiner Mutter eskalierte in meinem 16. Lebensjahr dahingehend, dass ich mich ans Jugendamt wandte und tatsächlich innerhalb kürzester Zeit ein Zimmer in einem betreuten Mädchenwohnheim erhielt. (Meine Schwester tat es mir einige Monate später nach, allerdings bezog sie eine betreute, eigene Wohnung.) Meine Aktion mit dem Jugendamt nahm mir meine Mutter derart übel, dass sie mich ab dem Zeitpunkt des Anrufs des Jugendamts über mein Ersuchen über die Zeit meiner Abwesenheit im Wohnheim vollständig ignorierte: ich wurde zur Persona non grata, zuzusagen.
Das war eher ihr Erziehungsding: zumindest so lange ich zuhause wohnte, wurde sie uns gegenüber wenig körperlich, die Psychoschiene war ihre erste Wahl und ist es auch heute noch, wenn – egal, worum es geht – jemand oder etwas nicht nach ihren Vorstellungen läuft. Für alles Schulische hatte meine Betreuerin die Vollmacht und wollte ich mich bspw. mit meinem (Stief)Papa oder einem guten Familienfreund treffen, holte sie das OK meiner Mutter ein.
Es sollte eigentlich nicht notwendig sein, dass ein Kind bzw. ein Jugendlicher erst sein Zuhause verlassen muss um in ruhigen, geordneten, unversehrten Bahnen sich entwickeln, lernen und wachsen zu können, doch manchmal ist dieser Weg dann doch der Bessere. Um diese Erfahrung, erhalten durch meinen Mut aus der mir aufgezwängten, mich überfordernden Rolle auszubrechen, bin ich auch heute noch sehr dankbar. Vielleicht war auch das DER Schlüsselmoment, warum ich mich seit nunmehr acht Jahren immer und immer wieder aufraffe, mich aktiv gegen den scheiß Krebs zu stellen?!
Wenn Prägungen der Kindheit brechen auch Bruch mit dem Elternhaus oder einem Elternteil bedeutet, wodurch man unter Umständen die ein und andere Annehmlichkeit einbüßt (bspw. finanzielle Unterstützung) dann ist das eben so! Der Preis den man – weiterhin – zahlt, wenn man keine Konsequenzen zieht ist sehr viel höher! Und lasst euch von wirklich niemandem jemals wieder ein schlechtes Gewissen machen oder Undank vorwerfen!
Ich werde immer wieder gefragt, warum ich so schreiben kann wie ich schreibe, erhalte Lob und Komplimente dafür und nicht selten wird unabhängig voneinander oft der Wunsch geäußert, ich möge doch bitte mal ein Buch schreiben …
Nun, dazu kann ich nur sagen: Ich kann so schreiben, wie ich schreibe, weil ich früh lernen musste, mir im Fall der Fälle selbst genug zu sein. Papier und Stifte sind zudem geduldige Zuhörer, versprechen nichts, was sie dann eh nicht halten (können) und sprechen einem auch keine Wünsche ab.
Aber was haben jetzt das Erkennen und Verarbeiten von Kindheitstrauma mit Selbstfürsorge durch Achtsamkeit zu tun?
Ist man gesund, steht mitten im Leben, hat sicheren Boden unter den Füßen, nimmt die bucklige Verwandtschaft so wie sie ist, bestreitet sein Leben bestmöglich … Vielleicht wird man ein Mal kranker als bisher, erholt sich davon wieder, mag sich alles normal, wie immer schon gewesen anfühlen, man bleibt im alten Schema – obwohl es diesen einen wunden Punkt, diese besondere Schwere in sich gibt, die man sich ums Verrecken nicht erklären kann. Gut für die, denen du weiterhin nützlich bist und zur Verfügung stehst.
Fängt man sich allerdings eine schwere Krankheit ein, die das ganze Leben von jetzt auf gleich dauerhaft auf links dreht, noch nicht mal ahnend, dass immer wieder mal morgen nichts mehr so sein wird wie es heute noch ist, läuft ’ne andere Nummer ab. Im Optimalfall wacht man auf bzw. fällt der Schleier und man beginnt vieles genau unter die Lupe zu nehmen. Dass es für die, die bislang von deiner „Blindheit“, deinem adaptierten „Familiensinn“ profitierten eng wird ist nicht dein Problem! 😉
Ab einem gewissen Zeitpunkt fängt die schwere Krankheit an, dich physisch wie psychisch auszuzehren. Egal, wie stark, robust, nervenstark etc. du „früher“ warst: Eine neue Zeitrechnung, ein neues Leben hat begonnen, damit muss man erst mal klarkommen um alles (wieder) möglichst gut zu meistern. Wenn dir dann erst auffällt, dass es tatsächlich immer noch dieselben Menschen sind, die dir ebenfalls Substanz abzapfen, kann es mitunter zu spät oder allerhöchste Eisenbahn für Konsequenzen sein!

Bei mir, eurem Fallbeispiel, riss der rote Faden, als meine Mutter sich zwar um mich besorgt zeigte, mich vor allem über die Krebsjahre gelegentlich finanziell unterstützte, immer wieder darauf pochte ich solle mich schonen, mich über nichts Unnötiges aufzuregen, mit meiner Kraft haushalten usw.. Dabei war genau sie es, die mir mit ihren zahlreichen Aktionen und Verhaltensweisen das Sein zunehmend erschwerte; selbstverständlich ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. – Nie hätte ich gedacht, dass und wie sich Menschen mit narzisstischen Zügen so lange unentdeckt im engsten Umfeld bewegen können.
Nachdem ein im Sommer ’23 geäußerter Wunsch, der im Grunde genommen leicht zu erfüllen war (man musste die Gegenstände „nur“ suchen, sie waren ja „irgendwo“) Mitte Dezember ’24 immer noch nicht umgesetzt war – wie bereits in der Kindheit: Hinhaltetaktik, immer kam irgendwas dazwischen, die Wichtigkeit, was interessant ist und was nicht wurde von Muttern bestimmt – war für mich das Maß endgültig erreicht!
Nach mittlerweile fünf Monaten „mutterfrei“ merke ich eine zunehmende, mehr und mehr entspannende Veränderung in mir, die alles wert war, wodurch ich die letzten Wochen (neben Chemo und Fistel-OP) gehen musste.
Wie ihr lesen konntet, liebe Freunde und ähnlich bzw. vergleichbar Betroffene: es braucht mitunter zwar sehr viel Mut und „Eier“ für sich einzustehen, für Selbstfürsorge und dies kommt in der Regel auch nicht von allein, man schafft es zudem nicht allein! Doch wenn ihr (endlich?) achtsam euch gegenüber seid, hinhört, hinfühlt, was euch euer Körper, eure Seele, eurer inneres Kind sagen wollen und schließlich handelt, kann es euch am Ende nur helfen eure innere Ruhe, euren wahren Seelenfrieden zu finden. Traut euch!
*in diesem Sinn*
eure Sandra
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2 https://starke-gedanken.de/parentifizierte-tochter-11-anzeichen-dass-du-als-kind-zu-viel-verantwortung-getragen-hast
3 https://www.spektrum.de/news/das-innere-kind-was-ist-das-eigentlich/2035693
https://www.wundergarten.co/blog/warum-die-ersten-7-lebensjahre-das-wichtigste-zeitfenster-im-leben-deines-kindes-sind/
https://www.tagesschau.de/wissen/gesundheit/emotionale-psychische-gewalt-misshandlung-101.html
https://www.tagesschau.de/wissen/forschung/fruehkindliche-erinnerung-100.html
Hey Sandra,😘 ich habe großen Respekt vor dir, dass du uns an deinem Prozess der Verarbeitung teilhaben lässt und du uns mal ein ganzes Stück hinter die Fassade blicken lässt. Danke, für dein Vertrauen.🫂 Ich weiß, das es ein harter Weg ist, auf alles nochmal zurück zuschauen. Da kommen alte Emotionen, Bilder und Ängste hoch, doch du hast dich dem gestellt und die für dich richtigen Entscheidungen getroffen um dich zu befreien.
Auch ich habe diese Erfahrung gemacht und auch ich habe es zum Glück geschafft, mich von einigen Menschen zu distanzieren, die Verbindungen zu kappen.
Pass gut auf dich auf.
Du bist ein wunderbarer und wertvoller Mensch, mit ganz viel Herz und ich bin unendlich froh, dass ich dich kenne und mit dir befreundet bin.
Fühl dich ganz lieb umarmt.🫂