Sonntag, Januar 12
Shadow

Zivilcourage für Tiere

Ganz ehrlich? Ich würde mir weder begegnen, noch mich mit mir anlegen wollen, wenn hilflose Tiere durch mich – vorsätzlich – in eine Scheißsituation geraten…

Durch puren Zufall geriet ich letzte Woche in ein neues “Drehbuch” bzgl. nicht tiergerechte Haustierhaltung und ich kann eigentlich nur dazu sagen: Oh oh, wehe wenn die Zeller davon Wind bekommt und sich bzw. dem Tier / den Tieren zu helfen weiß…

In der Arbeit nahm ich den Anruf einer Dame entgegen, die sich als ehemalige Vermieterin eines Kollegen vorstellte und die miteinander – nennen wir es mal – “Mietstreitigkeiten” haben, welche bis zum gerichtlichen Räumungsurteil gingen.

Vor etwa sieben Wochen siedelte besagter Kollege mit seiner Familie und einem überfetteten Retriever in eine Wohnung nahe der Firma über, bezog aber erst mal schön weiter für die alte Wohnung Beihilfe und “vergaß” auch bzw. kam “berufsbedingt” nicht dazu, sich zeitnah umzumelden. 

Im Gespräch mit der Dame kam heraus, dass die Familie nicht nur jede Menge Müll und kaputte Möbel, sondern auch Wasserschildkröten zurückgelassen hatte, die ohne Futter in braunem Wasser ausharrten und irgendwie nicht so fit schienen.

Der Kollege hatte sich und seine Familie bislang immer als Opfer und Unschuldiger dargestellt, wenn man denn mal Zeit hatte, sich etwas privater zu unterhalten. So so.

Allein beim Zuhören schwoll mir schon der Kamm und selbstverständlich konnte ich nach diesem Telefonat nicht wirklich an mich halten, sondern konfrontierte meinen Kollegen (“im Außendienst”) mit dem eben Gehörten. – Naja, ratet mal, was der mir erklären wollte? … Richtig: Das ginge mich nichts an! … Bitte? Na, das wüsste ich!

Der Herr Kollege gab vor, dass er die Tiere morgen selbst hätte holen wollen und außerdem und überhaupt sei er die letzten Wochen jeweils 3x die Woche zur alten Wohnung gefahren, hätte die Tiere mit Futter versorgt, zudem würde auch eine Pumpe laufen. Und was den Rest anginge – die, nennen wir sie mal – “Unstimmigkeiten” mit der alten Vermieterin: er hätte noch bis Ende des Monats Zeit, die Wohnung fertig zu machen. Ok, das interessierte mich nicht und ging mich wirklich Nichts an. 

Was Menschen untereinander oftmals Hader miteinander haben, geht mir im Grunde genommen am Allerwertesten vorbei, sofern mich die Angelegenheit nicht auch betrifft.

Als Erwachsener kann man sich immer irgendwie aus misslichen Lagen befreien oder sich zumindest durch offene, ehrliche Gespräche Hilfe holen und Lösungen mit seinem Gegenüber finden – Kinder und Tiere haben diese Möglichkeit nicht, weshalb sie auf fremde Hilfe und Eingreifen geradezu angewiesen sind!

Diese Verhaltensweise, oft ist es auch ein Charakterzug (sofern man einen hat), wird offiziell als Zivilcourage bezeichnet, ugs. auch als Arsch in der Hose haben bekannt.

Kurze Zeit später kam Herr Kollege mit der Aussage, dass die Tiere von einem Bekannten übernommen werden, der sie aber erst Anfang Mai übernehmen könnte, wenn er (der Bekannte) umgezogen sei. – Ja, was jetzt?? Morgen? In einigen Tagen? … 

Mit dem Kollegen war kein Konsens zu finden, mich fing es an zu beschäftigen (wem sollte ich glauben?) und beschloss, nach Feierabend vor Ort zu fahren, um mir selbst ein Bild zu machen. – Hach, mein ganzer, restlicher Zeitplan über den Haufen geworfen! “Scheiß Viehzeug!”

Man muss nicht Alles wissen und können, aber man sollte wissen, an wen man sich wenden kann, um wichtige Informationen zu erhalten, wenn man diese nicht selbst besitzt. – Ich holte mir unsere Tierrettung in beratender Funktion dazu, woran man erkennt, dass eine Schildkröte kurz vor knapp ist und blieb auch bzgl. der weiteren Vorgehensweise mit ihr in Kontakt.

Ein Verwandter der Vermieterin (sie war bereits in der Arbeit) ließ mich in die Wohnung und naja, was soll ich sagen … Im Eck des WC’s fand ich ein Standardaquarium (Pi mal Daumen: 100x40x40 cm) mit braunem Wasser (weniger als 10cm Höhe) auf dem sich bereits eine milchig-ölige Schicht gebildet hatte, die Ausstattung war mehr als mickrig und zwei Schildkröten (Panzerlänge jeweils ca. 20cm) vor. – Ja, stimmt: eine Pumpe war vorhanden, nur “dummerweise” lief die nicht!

Auch die Leuchtröhre im Deckel funktionierte, wie ich später feststellte, nur “blöd”, dass keine Zeitschaltuhr zwischen Mehrfachstecker und Lichtkabel gesteckt war…

Zumindest in den Basics gleichen sich die Haltungsbedingungen für Reptilien, sodass ich aufgrund meiner Erfahrung und Kenntnis mit Kornnattern die zum Kotzen grottenschlechte, massiv tierungerechte Haltung dieser Schildkröten mit sicherem Auge erkannte.

In der Hoffnung, dass sich die Schildkröten nicht auch in desolatem Zustand befanden, nahm ich die Panzermäuse unter die Lupe:

Nr. 1 wirkte verschreckt / verunsichert (sie blieb in ihrem Panzer), wogegen Nr. 2 trotz der Um- und Zustände doch noch ganz schön kess und “aufmümpfig” rüberkam, sofern man diese Wesensausdrücke bei Schildkröten ansetzen kann.

Die Info, akut hilfsbedürftige Schildkröten sehen aus, wie alte Leute (sehr runzlige, eingefallene, trockene Haut, sehr langsame bis keine Bewegung) half mir insofern schon mal weiter, als dass sich die Schildis – meines Panzer-Laien-Wissens nach – in einem noch annehmbaren, körperlichen Zustand zu befinden schienen.

Wer sich allerdings mit der Thematik befasst, weiß um den Fakt, dass Reptilien sehr oft auch langsam und lautlos sterben, weshalb man Nichts über- oder unterbewerten sollte, wenn man sich mit dem aktuellen Geschehen nicht fundiert auskennt!

Auf diesem Bild erkennt man, denke ich, sehr gut den milchig-öligen Film auf Panzer und Bauch, der sich bereits auf der Wasseroberfläche gebildet hatte und wenn mich nicht Alles komplett täuscht, ist Schildkrötenhaut unter dem Panzer sehr empfindlich.

Als Nächstes fiel mir eine Dose Schildkrötenfutter auf dem gegenüberstehenden, kaputten Badmöbel auf – Leer!! 

Ok, 3x die Woche wollte man also hier gewesen sein und die Tiere gefüttert haben? Natürlich purer Zufall, dass ich ausgerechnet an diesem Tag auf eine leere Futterdose stieß… Sicher brachte man das Futter jedes Mal extra mit…

Die wenigen Pellets, die sich auf dem inneren Randstreifen des Aquariums befanden, schnippte ich hinein und die Agilere der Beiden (keinen Plan, welche Geschlechter das waren) schnappte sich sofort, was sie erwischte.  Ah ja, 3x die Woche mit Futter versorgt. Ganz klar zu erkennen…

Da die Tierrettungszentrale mit den Handybildern leider nicht wirklich etwas anfangen und beurteilen konnte, wurde mir empfohlen, die Polizei zu verständigen, da zumindest die vorgefundenen Haltungsbedingungen auf ganzer Linie gegen das Tierschutzgesetz verstießen!

Der Polizist, den ich schließlich am Telefon hatte, war wirklich sehr nett und aufmerksam, aber leider war er Null Komma Null reptilienerfahren, ein Amtsveterinär war nicht mehr erreichbar – Logisch, wir hatten ja auch schon weit nach Behördenschluss und auf Abruf? … Na, den Vet möchte ich persönlich kennenlernen, der Bereitschaftsdienst hat.

Irgendwie amüsant und das allgemeine Verständnis für den Kauf von Tieren bezeichnend zugleich, fand ich den Ausspruch des Beamten, als ich ihm (ohne die Panzerlänge zu erwähnen) erklärt hatte, dass das Aquarium für beide Tiere zusammen viel zu klein sei: Ja, aber solche Schildkröten sind doch ganz klein!?! – Bei Kauf meistens, deswegen gehen die ja auch weg wie warme Brötchen… Aber wehe, wenn sie größer werden, nicht mehr sooo niedlich sind und einem – irgendwann?!? – bewusst wird, welche Ansprüche die Panzer an ihre sachgemäße Haltung stellen …

Herr Kollege war telefonisch nicht erreichbar, sodass ich ihm hätte anbieten können, die Tiere sofort hier rauszuholen (womit dann auch etwaiger Diebstahl entkräftet gewesen wäre) und einem Schildkröten-Profi zu übergeben.

Weil trotz aller Widrigkeiten keine akute Lebensgefahr für die Schildis bestand – zumindest war keiner der allgemein Anwesenden und nun involvierten in der Lage, dies definitiv zu bestimmen – verblieben der Polizist und ich, dass er die Beamten der Hundestaffel informiert, die in wenigen Stunden ihren Dienst antreten und sich dann zeitnah mit mir in Verbindung setzen würden.

Wir erinnern uns?! Bei (vermeintlichen) Verstößen gegen das Tierschutzgesetz und / oder die Hundeverordnung, sollte man sich nicht an den örtlichen Tierschutzverein oder die normale Polizei wenden, sondern an die Polizeihundestaffel.

Kaum war ich – “endlich” – zuhause angekommen, die Beweisbilder für die Polizei auf den PC überspielt, der Beamte vom Telefon hatte mir zwischenzeitlich eine Mail geschrieben, damit ich seine Adresse hatte, meldete sich ein Beamter der Staffel, welchem ich alle, mir bekannten Telefonnummern gab, damit er Weiteres in die Wege leiten konnte.

Kurz vor halb zehn Abends erhielt ich schließlich die Info, dass man die Beamten am Wohnsitz meines Kollegens aktiviert, den Kollegen nun erreicht und dieser zugesichert hätte, er würde sich am nächsten Tag gleich um die Tiere kümmern. Der redet und versichert viel, wenn der Tag lang ist … Steht man nur der “kleinen” Sandra gegenüber, kann man gerne grinsen und leere Versprechungen von sich geben … Ich glaube allerdings: das Grinsen friert schlagartig ein, wenn plötzlich Uniform vor einem steht …

Nichts desto trotz: eine Anzeige wegen Verstoß gegen das Tierschutz behalte ich mir meinem Kollegen gegenüber vor, ebenso die ehemalige Vermieterin, die mit ihm und seiner Familie an den Rand von Nerven und Substanz geriet und nun bin ich sehr gespannt, ob der Herr Kollege immer noch nickend beipflichtet, wenn es “tönt”: Werden Tiere scheiße behandelt, hört bei mir Alles auf!! ..

Leute, wenn ihr euch Exoten wie Reptilien und andere “ungewöhnliche” Haustiere meint einbilden und anschaffen zu müssen, werdet / seid euch von vornherein über die Haltungsbedingungen und Bedürfnisse der Tiere im Klaren … und wenn ihr Scheiße baut: Lasst euch bloß nicht von der Zeller erwischen!

Als ich mich damals dazu entschloss, noch “etwas Anderes als Fell” halten zu wollen, informierte ich mich neben den Fischen, Skorpionen, Agamen und Echsen auch über Schildkröten und ich kann nur sagen: Schildis bestmöglich gerecht zu werden kann echt zum Hexenwerk ausarten!!

Bitte denkt daran, egal welches Haustier ihr euch halten wollt: Das Tier ist auf euren Verstand, auf euer Pflichtbewusstsein angewiesen und von A bis Z von euch abhängig! Es hat keine Wahl, muss sich eurem Haben will! fügen, dann seid auch bitte so fair und wirklich soviel Tierfreund, ihm einen bestmöglichen, tiergerechten Lebens(zeit)raum zu geben und wenn dies – warum auch immer – nicht mehr möglich ist, sucht ihnen zeitnah einen neuen Platz!

*in diesem Sinn*
eure Sandra

Etwas veraltet (von 1997!), doch sicher aktueller als so mancher humanoide Verstand, gibt’s hier die Mindestanforderung an die Haltung von Reptilien zum Nachlesen. – Mindestanforderung an die Haltung von Schildkröten: Seiten 57 bis 68!

Es handelt sich hierbei um kein Gesetz, sondern um Empfehlungen. Wer diese allerdings nicht imstande oder Willens ist, sie annähernd zu erreichen / vollends zu erfüllen, sollte von der Reptilienhaltung – im Interesse des Tieres! – Abstand nehmen!

Nachtrag, 28.04.: Mitten in der Nacht wurden zumindest die Schildkröten aus der Wohnung geholt, das Aquarium allerdings, bis zum späten Nachmittag des Folgetags stehen gelassen.

Stellt sich mir die (berechtigte?) Frage: Wie waren die Schildkröten in der Zwischenzeit untergebracht? In der Badewanne? Zuzutrauen wäre es den betreffenden Personen mittlerweile.  Mal sehen, vielleicht kommt die Staffel noch dahinter.

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