Donnerstag, April 25
Shadow

Mein Brustkrebs – Deckel druff.

Mit einschließlich Heute liegen 1 Jahr, 3 Monate, 6 Tage oder: 66 Wochen und 1 Tag oder: 463 Tage oder: 11.112 Stunden oder: 666.720 Minuten oder: 40.003.200 Sekunden eines Lebensabschnitts hinter mir, den ich nur meinem schlimmsten Feind und / oder rücksichtslosen Mit-Erdlingen gönnen würde.

Nach meiner Krebstherapiestrecke (inklusive Zahnwurzel-OP, Darmspiegelung, Karpaltunnel-OP – wenn schon, denn schon) war ich doch recht froh, mich Ende Februar für drei Wochen in Reha verabschieden und dabei von meinem Haustier begeleitet werden zu können.

Wenn man zurück blickt, dass man seitens des Sozialdienstes im Krankenhaus, noch bevor die eigentliche Krebstherapie überhaupt startet, mit Info belagert wird, die erst in der Zielgeraden zum Tragen kommt, dürfte es nicht sonderlich verwundern, dass ich mich vor der Rehamaßnahme zu drücken versuchte. – Zum Glück veränderte sich nicht nur diese Einsicht und Erkenntnis, sodass ich in der Winkelwaldklinik in Nordrach eine wirklich schöne, interessante, hilfreiche und vorallem entspannende Zeit erleben konnte. (Von den Kleinkindern, die ihre krebskranken Mütter begleiten  mussten und entsprechend Terror im Speisesaal veranstalteten, dass man fast sein eigenes oder das Wort des direkten Tischnachbarn nicht mehr verstand, mal abgesehen.)

Blick auf die Winkelwaldklinik und über Nordrach, in einem Kessel des Mittelschwarzwaldes gelegen.

Die Winkelwaldklinik war vor ca. 100 Jahren ein Sanatorium für Lungenkranke und ist heute auf die physische, psychische sowie mentale Wiederherstellung von Patienten nach Schilddrüsen-, Unterleibs- und eben Brustkrebs spezialisiert. Als so genannte Landesklinik (die Klinik wird vom Land Baden-Württemberg getragen) ist sie in gewisser Weise sowas wie eine privat geführte Klinik, wodurch es ihr möglich ist, Rehabilitanden die Möglichkeit der Haustiermitnahme anzubieten. – Da entspannt es sich gleich dreimal mehr.

In der Regel ist ein mitnehmbares Haustier natürlich der Hund, doch auch mit einer reisegewöhnten, sehr menschenbezogenen Katze kann man hier unterkommen. Mitunter kann es etwas dauern, dass man ein Zimmer im separat vom Hauptgebäude stehenden Gästehaus 4 ergattert, weshalb es sich wirklich empfiehlt, seinen Rehaantrag ab der Bestrahlungsstrecke so früh wie möglich zu stellen. – Einziger Nachteil, wenn man seine Reha mit Haustier verbringt: um eine Verlängerung zu erhalten, braucht man mehr Glück als Verstand, da die Nachfrage (verständlicherweise) größer als das Angebot ist.

Apropos Landesklinik: Stellt sich bei Antragsstellung heraus, dass die gewählte Rehaklinik eine Landesklinik und der, für Einen zuständige Kostenträger die Deutsche Rentenversicherung Bund ist, bedarf es eines formalen Antrags an die DRV, ob der Aufenthalt in der Landesklinik „erlaubt“ wird und damit die Kosten auch übernommen werden? – Ist man in solchen Fällen bei der DRV Land versichert oder möchte als DRV Bund-Versicherter in eine Bundesklinik, ist die Platzreservierung automatisch möglich.

Hinweis: Keine Rehaklinik die dem Bund untersteht, ermöglicht die Mitnahme von Haustieren.

Warum wundert es mich nicht, dass man – sobald Bund drauf steht oder dahinter steckt – nicht wirklich entspannen kann? …

Während der dreiwöchigen Reha lernte ich nicht nur viele interessante Menschen kennen, es zeigte sich auch eine neue-alte Sandra Zeller, die einerseits verloren gegangene Lieblingsbeschäftigungen wieder sowie weitere, neue Perspektiven für sich entdeckte.

Einer meiner Mitrehabilitanden, Conchita, eine passionierte Reiterin, fehlte ihr Pferd dermaßen, dass sie einen nahe gelegenen Reiterhof mit Island-Ponys zum Reiten ausfindig machte. – Dass Halter und Liebhaber von Isländern heutzutage „aufpassen“ müssen, ob und wo sie ihre Ponyrasse liebevoll Isis nennen … ohne Worte.

An einem Samstag erzählte sie mir freudestrahlend davon, dass sie heute war und morgen nochmal hinginge, ob ich mitwollte? – Von mitwollen konnte wenig die Rede sein, seit knapp dreißig Jahren sah ich Pferde am liebsten auf Abstand oder in der Metzgertheke. Naja, ok, was hatte ich schon zu verlieren? Während Conchita eine Stunde (oder so) ausritt, konnte ich ja zu Fuß die Gegend dort erkunden… Erstens kommt es Anders, als man Zweitens denkt.

Vor Ort fand ich es natürlich „ganz nett“ und „mal was anderes“, das Treiben auf so einem Ponyhof zu beobachten. Ich gönnte Conchita ihr Hobby und freute mich für sie, dass sie eine Möglichkeit gefunden hatte, ihm auch in der Reha nachgehen zu können. Nun, eins gab das andere und plötzlich war ich zum Ausritt verhaftet. – Das hatte Comedy-Potential…

Aufgrund meiner Karpaltunnel-OP Ende Januar, in Kombination mit den bestehenden Einschränkungen durch die Krebstherapiemaßnahmen, meiner Ungeübt- und Ungelenkheit, war an einen Aufstieg von ebenem Boden aus gar nicht zu denken. Selbst als wir schließlich eine Straßensteigung erreichten, ich mich oberhalb des Isis (Sm: 1,47) stellte, bedurfte es mehrere Versuche, den Sattel zu erklimmen, ohne auf der anderen Seiten wieder runter zu fallen. – Meine Fresse, was muss ich mich mit 43 auch dazu breitschlagen lassen, wieder auf einen „Gaul“ zu steigen? Pferde stehlen: Kein Problem. Pferde reiten: Themawechsel.

Wer wie ich fast 30 Jahre auf keinem Pferd mehr saß und seine Sinne weitestgehend beinander hat, lässt sich bzw. „sein“ Pferd besser von einem Profi führen, statt sich der Selbstillusion hinzugeben, die Situation alleine im Griff zu haben.

Sicher hatten sich die Mädels ihren Ausritt an diesem Tag anders, „flotter“ vorgestellt, als etwa eine Stunde nur im Schritt durch die Walachei zu gondeln. Deshalb an dieser Stelle einerseits meinen herzlichen Dank für das Entgegenkommen, andererseits: selbst schuld, hättet ihr mich mal zurück gelassen. * augenzwinker lach *

Dass Krebs ein Arschloch ist, vor Niemandem Halt macht, respektive kein Patentopfer hat, ist (mir) mittlerweile mehr als bewußt. Trotzdem überrascht es immer wieder, wer so Alles die Arschkarte zieht und eine Runde im Leben „aussetzen“ darf. – Ohne über Los zu gehen, ohne fiktive 1000 €uro einzustecken.

Vanessa, Anfang Dreißig, bis der Brustkrebs bei ihr zuschlug, eine ambitionierte Triathletin. Ein wirklich taffes Mädel, der (wie mir) nur beim Thema Veränderungen des Lebens durch Krebs, rein aus Wut und genervt sein über diese „Ungerechtigkeit“, ein Kloß im Hals wuchs und die Tränen aufstiegen.

Astrid, Ende Dreißig, ebenfalls fest im Leben stehend, Beruf, Familie, Tiere, Natur. Ihr musste sogar eine Brust amputiert werden, so heftig hatte sich der Krebs eingenistet; die Amputation der Zweiten drohte. Noch während ihres Aufenthalts erhielt sie die Entwarnung (humangenetische Untersuchung), wodurch man ihr regelrecht ansah, wie sämtliche Schwarzwaldberge von ihr abfielen. Nun brauch(t)en Astrid, ihre Familie und Freunde  „nur“ noch die Kraft für den Wiederaufbau der Einen aufbringen.

Wenn ich es noch richtig im Kopf habe, waren wir an die zehn Brustkrebspatientinnen, die sich bei expliziten Vorträgen oder Gruppensitzungen trafen. Erschreckenderweise gab es außer mir nur eine einzige Mitrehabilitandin aus dem Norden, die mit der Betreuung und Behandlung durch ihre Ärzte durchweg zufrieden war und sich bestens aufgehoben fühlt(e).

Selbstverständlich gehen drei Wochen Reha in entschleunigender Umgebung und toller Gesellschaft viel zu schnell vorbei. Man nimmt sich fest vor, Vieles oder wenigstens Einiges Zuhause beizubehalten, bei Manchem gelingt es sogar. Mein Vorsatz, in Zukunft wieder aktiver zu sein, wurde selbst von meinem heißgeliebten Autole unterstützt, indem es auf etwa Mitte des Heimwegs stehen blieb und mich dadurch schon mal meinem Rad wieder näher brachte.

Nichts desto trotz, uns Zellers muss man extra totschlagen, wenn man sicher gehen möchte: es gab zwar (wieder) eine ordentliche Rechnung, doch auch ’s Autole „lebt“ wieder!

Bleibt zum Anfang vom endgültigen Ende dieser Zeit noch die Frage nach der (neuen) Arbeit und den Möglichkeiten des Wiedereinstiegs.

Bereits zu Ende 2017 eröffnete sich mir eine gänzlich neue Option, an die so eigentlich gar nicht zu denken war und die sich im Grunde genommen aus dem absoluten Zufall heraus ergab. – Wenn mehr Glück als Verstand haben solch eine Auswirkung haben kann, bin ich gerne „dumm“.

Wir, mein neuer Arbeitgeber und ich, mussten lediglich das offizielle Ende der Krebstherapie abwarten, um uns schließlich in Bezug auf mögliche Unterstützung („Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben„) beim zuständigen Kostenträger für die Wiedereingliederung schlau zu machen.

In meinem Fall ist / war der Kostenträger erneut die Deutsche Rentenversicherung Bund und, dass ich durch die eigentliche Fehlinformation seites des Jobcenters bereits Kontakt zur Rehafachberatung aufgenommen hatte, stellte sich als an der richtigen Stelle gelandet heraus.

Was hat sich in den letzten Wochen bzw. Monaten noch (mit/bei/an mir) verändert? Im Grunde genommen, war ich schon recht „kernig“ unterwegs, doch nach all diesen Erfahrungen – dass man sich, als schon länger hier Lebender, sogar in schwer(st)er Krankheit durchbeißen muss – werde ich mich von System & Co. noch gerner haben lassen, meine Meinung noch eher äußern und dazu stehen, meine Interessen mehr verteidigen und durchsetzen zu wissen, als bisher.

So blieb ich bspw. standhaft, als ich nach mehr als einem Jahr (!) die Feuchtigkeit an einer Wand in meiner Wohnung offiziell gegenüber meiner Vermieterin – inklusive Mietminderung – zum Thema machte, nachdem sich allein durch Mündliches nichts tat. Meine Vermieterin warf mir sogar vor, ich hätte bereits letztes Jahr so informieren müssen, woraufhin ich ihr erklärte, dass ich im Rahmen einer Krebstherapie gar nichts müsste, das nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Behandlung und Bekämpfung des Tumors stünde.

Einiges wird sich dagegen nicht ändern lassen, beispielsweise eine rücksichtslose Brut von Nachbarn, denen das Gebot der allgemeinen Rücksichtsnahme auf Ewig fremd bleiben und in diesem Sinn für die nächste Generation sorgen wird…

Was auch immer den finalen Ausschlag bei mir gegeben hat, an (Brust)Krebs zu erkranken, ich für meinen Teil bin der Meinung, dass mich diese rückgratlose und rücksichtslose Gesellschaft in Deutschland, die altpolitischen Geschehnisse und nicht zuletzt auch mein eigenes „sehr vielen doch irgendwie gerecht werden wollen (müssen)“ krank gemacht haben. Doch damit ist jetzt Schluss!

Auf meine Art und Weise werde ich mich wieder ins Leben, in die Gesellschaft und Geschehnisse einbringen – doch nicht mehr lassen. Was welcher Streß für mich ist: bestimme ich! Was und wo meine Grenzen sind: bestimme ich! Wofür meine Zeit gerade / noch reicht: bestimme ich!

Ich werde mich in meinem neuen-alten Leben sicher wieder einige Male „noch beliebter“ machen als zuvor … Lebt damit oder geht mir aus dem Weg, ganz einfach.

Ich wurde mit Verbot, mich unnötigem Streß auszusetzen aus der Rehaklinik entlassen und wem das zu hoch oder zu unverständlich ist … nun: wartet auf Eure eigene, schwere Krankheit, dann werdet ihr sicher verstehen.

*in diesem Sinn*
Eure Sandra

Ergebnis einer Kunsttherapiesitzung zum Thema ‚Das eigene Ich‘, das sogar mir gefällt und mich nun, in meiner Wohnung aufgehängt, immer wieder daran erinnert, worauf es > wirklich < ankommt.

Aus dem Zen:

Was du tust, das tue ganz.

Ein in der Meditation erfahrener Mann wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so gesammelt sein könne?

Dieser sagte:

Wenn ich stehe, dann stehe ich.
Wenn ich gehe, dann gehe ich.
Wenn ich sitze, dann sitze ich.
Wenn ich esse, dann esse ich.
Wenn ich spreche, dann spreche ich …

Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten: Das tun wir doch auch, aber was machst du noch darüber hinaus?

Wenn ich stehe, dann stehe ich.
Wenn ich gehe, dann gehe ich.
Wenn ich sitze, dann sitze ich.
Wenn ich esse, dann esse ich.
Wenn ich spreche, dann spreche ich.

Wieder sagten die Leute: das tun wir doch auch!

Er aber sagte zu ihnen: Nein,

wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon;
wenn ihr steht, dann lauft ihr schon;
wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel.

1 Comment

  • Conchita

    Wie gut Du geschrieben hast und in vielem den Nagel auf dem Kopf getroffen hast!
    Es war eine tolle, intensive Zeit in der Reha und auch ich werde mich mit viel Freude immer an unseren schönen Ausritt erinnern!
    Wie schön, dass es beruflich so gut geklappt hat!
    Weiter so!!!
    Alles Liebe und Gute für Deine Zukunft!

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